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Theater Eisleben Theater Eisleben: Lessings Nathan in der Lutherstadt

Von Kai Agthe 02.11.2016, 07:22
Ginge es nach ihnen, gäbe es keine Kriege: Saladin (Markus Lingstädt, li.) und Nathan (Michael Günther)
Ginge es nach ihnen, gäbe es keine Kriege: Saladin (Markus Lingstädt, li.) und Nathan (Michael Günther) Jens Schlüter

eisleben - Frisch geduscht, mit streng zurückgekämmtem Haar nimmt Michael Günther im Foyer des Theaters Eisleben Platz. Zwar stehen ihm Schweißperlen auf der Stirn, aber erschöpft wirkt der Schauspieler nicht, obwohl er wenige Minuten zuvor noch als Nathan auf der Bühne des mit Schülern aus Eisleben, Sangerhausen und Querfurt rappelvoll gefüllten Theaters stand. Michael Günther ist in der Rolle von Gotthold Ephraim Lessings ebenso klugen wie gütigen Jerusalemer Juden ein Gast in der Lutherstadt. Für den Theatermann, der vor 49 Jahren in Karl-Marx-Stadt geboren wurde, ist die Titelrolle in „Nathan der Weise“ eine Rückkehr an jenen Ort, an dem Mitte der 1980er Jahre seine Bühnenlaufbahn begann.

Nach einem prägenden Jahr als Inspizient, Regie-Assistent und Nebendarsteller am damaligen Thomas-Müntzer-Theater ging er 1986 zum Schauspielstudium nach Leipzig. Als er dieses 1990 beendete, boten sich dem Absolventen ganz neue künstlerische Möglichkeiten. Die nutzte er, in dem er in Magdeburg die Freien Kammerspiele mitbegründete. Dem Haus war er bis 2001 als Schauspieler verbunden, um dann in die Theaterwelt, nach Bern und Wiesbaden, zu ziehen. 2014 kehrte er in die Elbestadt zurück und übernahm die Leitung der Freien Kammerspiele.

Den Nathan für Eisleben habe Michael Günther mit der Beschäftigung am Stück als faszinierende Figur schätzen gelernt, die in ihrem Gegenüber erst den Menschen und nicht den Vertreter einer Religion sieht. „Mit der Arbeit am Stück habe ich mich in diese Rolle verliebt“, betont der Schauspieler.

Bilder aus dem Kriegsgebiet

Intendant Ulrich Fischer hat Lessings Drama, das der Autor im späten 12. Jahrhundert verortete, mit seiner Inszenierung in die Gegenwart geholt. Der israelisch-palästinensische Dauerkonflikt bildet den Prolog in schwarz-weißen TV-Bildern mit arabischen Schriftzügen, die rollende Panzer, siegessichere Kämpfer und wiederholt gewaltige Detonationen zeigen, die Häuser ebenso treffen wie ferne Berge und nahe Straßen. Im Lauf der Handlung werden immer wieder Explosionen angedeutet, die daran erinnern, dass sich das Gelobte Land, die Heimstatt der drei großen Religionen, seit Jahrzehnten im Kriegszustand befindet.

Fischers Deutung bietet sich umso mehr an, da bei Lessing Nathans Haus einem Feuer zum Opfer fällt, von dem im Stück nicht gesagt wird, welche Ursache es hatte. In Eisleben braucht es, um diese Verheerungen zu zeigen, nur ein Einheitsbühnenbild aus grob gefügten Holzgestellen (Bühne und Kostüme: Sven Hansen).

Ulrich Fischers Nathan trägt als erfolgreicher Geschäftsmann edlen Zwirn zur Kippa. Michael Günther spielt ihn als in sich ruhenden, ganz im Glauben seiner Väter verwurzelten und stets um das Wohl seiner Familie und seiner Umwelt bedachten Kaufmann. Er würde dem jungen Tempelherrn, der in martialischer Kampfmontur auftritt (soldatisch spröde: Christopher Goetzie), nur zu gern all sein Hab und Gut überlassen zum Dank dafür, dass der Kreuzritter seine Ziehtochter Recha (beseelt: Almut Liedke) aus seinem brennenden Haus rettete.

Der Templer will kein Geld, dafür benötigt Sultan Saladin (ohne Zorn und Eifer: Markus Lingstädt) finanzielle Hilfe, und das nicht nur, weil er gegenüber seiner Schwester und Beraterin Sittah (klug und kühl: Ann-Christin Momsen) viel zu großzügig ist. Das verbindende Element zwischen Nathan und dem Tempelherrn ist die christliche Hausangestellte Daja (mit Inbrunst: Annette Baldin), die der jüdische Kaufmann wie seine Tochter Recha liebt. Der Verbindungsmann zu Saladin wiederum ist Nathans alter muslimischer Freund, der Derwisch Al-Hafi (schelmisch: Christopher Wartig), der als Schatzmeister des Sultans nur gähnende Leere zu verwalten hat.

Wartig hat auch einen Kurzauftritt als Patriarch von Jerusalem: Es ist die einzige Figur, die Lessing durch und durch unsympathisch gezeichnet hat: ein religiöser Fanatiker in Purpur. Des Patriarchen Auge, Ohr und Mund ist der ebenso verschlagene wie ängstliche Klosterbruder (quecksilbrig: Christian Hellrigl).

Markus Lingstädt als muslimischer Herrscher und Michael Günther als jüdischer Geschäftsmann zeigen in ihrem fein austarierten Spiel – zu dem natürlich auch Nathans „Ringparabel“ gehört – sehr schön, dass man in Frieden miteinander leben könnte, wenn es nur nach Saladin und Nathan ginge.

Alles in allem eine tolle Inszenierung mit einem wie gewohnt sehr spielfreudigen Eisleber Ensemble! Mit dem herzlichen Beifall der begeisterten jugendlichen Zuhörer war der Arbeitstag für Michael Günther aber noch nicht zu Ende. Es ging für ihn auch nicht sofort zurück in die Landeshauptstadt, sondern nach Oberwiederstedt.

Ringparabel-Abend bei Novalis

Auf Einladung der Internationalen Novalis-Gesellschaft präsentierte er gemeinsam mit Kollegen der Magdeburger Kammerspiele erstmals seinen „Ringparabel-Abend“. „Ich hätte Lust, mit diesem Lessing-Programm auch in die Schulen zu gehen“, sagt Günther, der auch auf die Bedeutung des Theaters als Teil der kulturellen und emotionalen Bildung hinweist.

Deshalb hätten ihn auch die 2013 verhängten Kürzungen für die Theater Halle, Dessau und Eisleben sehr erschüttert: „Matthias Brenner, der Intendant des Neuen Theaters in Halle, hatte vollkommen recht, als er damals sagte, dass man mit den sieben Millionen Euro, die man bei den Theatern pro Jahr einsparen will, nur ein paar hundert Meter Autobahn bauen könne“, so Günther. Soll heißen: Was im Straßenbau ein Kleckerbetrag ist, über den nicht diskutiert wird, kann bei den Bühnen über Sein oder Nichtsein entscheiden.

Nächste Aufführungen: 22. November 9 Uhr, 28. Dezember 19.30 Uhr

(mz)