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«Theater der Welt» «Theater der Welt»: Kunst bittet ins Offene

Von Andreas Hillger 17.06.2008, 17:53

Halle/MZ. - Die äußeren Koordinaten sind längst festgeschrieben und in der von Kurator Torsten Maß aufgestellten Gleichung "18 Tage, 18 Spielorte, 18 Länder" griffig zusammengefasst. Was aber erwartet das Publikum beim Festival "Theater der Welt" ab morgen in Halle inhaltlich? Das beim Dichter Friedrich Hölderlin entlehnte Motto "Komm! Ins Offene" gibt einen deutlichen Fingerzeig. Selten zuvor wagte ein Gipfeltreffen des internationalen Theaters hierzulande derart demonstrativ den Aufbruch von der klassischen Bühne.

Einwohner befragt

Natürlich werden auch hochkarätige Gastspiele in den Theatern in und um Halle zu erleben sein - so die italienische Marionettenfamilie Colla, die mit ihrer kostbaren historischen Revue "Excelsior" im barocken Goethe-Theater Bad Lauchstädt den passenden Rahmen findet. Dass sie dabei eine allegorische Feier des Fortschritts in Szene setzen und vom Bau des Panamakanals ebenso wie von der Erfindung der Elektrizität erzählen, dürfte freilich für eine ironische Brechung sorgen. Aber schon die "Stadtverführungen" des halleschen Autors Wilhelm Bartsch und seines Regie-Partners Jos Houben setzen das Ensemble der Kulturinsel buchstäblich auf die Straße - zum Zweck historisch-fiktiver Erkundungen in der Geschichte der Gastgeberstadt.

Dabei wird selbst die geologische Besonderheit der "Halleschen Störung" am Markt zur Anstiftung für Phantasie - und die Hallenser werden ihre scheinbar bekannte Stadt in völlig neuem Lichte sehen. Die amerikanische Big Art Group geht sogar noch einen Schritt weiter: Sie hat für "The People" Einwohner befragt und stellt die so gesammelten Lebenserfahrungen nun in einen ästhetischen Kontext, wobei sie ebenfalls öffentliche Orten wie den Domplatz oder das Finanzamt am Rande der Neustadt erobern.

Damit ist zugleich der zweite Schwerpunkt des Festivals deutlich: "Theater der Welt" will politisch sein. Wenn das Thalia-Theater mit seinem Projekt "AusFlugHafenSicht" den Blick auf die sterbende Gemeinde Kursdorf nahe des Flughafens Leipzig / Halle lenkt, die dem Fortschritt der Mobilität im Wege steht, ist dies ein selbstkritischer Ansatz bei einem Festival, dessen Künstler meist selbst per Flugzeug anreisen. Das Requiem auf eine historisch gewachsene Gemeinde, die einem am Reißbrett entworfenen Airport weichen muss, zählt zu den spannendsten Experimenten des Festivals. Die israelische Regisseurin Yael Ronen verhandelt mit "Die dritte Generation" gar das schwierige Verhältnis zwischen Deutschen, Israelis und Arabern - eine Operation an kaum vernarbten oder noch immer offenen Wunden.

Und selbst wo es scheinbar poetisch zugeht, kann es schnell politisch werden: Massimo Furlans Erinnerung an den "22. Juni 1974, 21 Uhr 03" ist natürlich mehr als die Verbeugung vor dem Sparwasser-Tor im WM-Vergleich zwischen der DDR und der BRD. Mitten im aktuellen EM-Fieber geht es dabei auch um die Ideologisierung des Sports und um die Haltbarkeit nationaler Mythen.

Wie gut das funktionieren kann, hat der Solist Furlan unlängst bei den Wiener Festwochen gezeigt, wo er das schmähliche Ausscheiden Deutschlands gegen Österreich bei der WM 1978 nachstellte - vor 2 500 Zuschauern und ohne Ball, dafür aber mit dem historischen Originalkommentar.

Indische Muslime

Es wird also streitbar - aber deshalb wohl nicht minder schön. Die 42 Manganiyars, die nach dem morgigen "Vorspiel" am Freitag den offiziellen Auftakt setzen, sind zwar auch indische Muslime, vor allem aber sind sie grandiose Musiker. Und das kasachische Ensemble Art & Shock spielt in seinem Programm "Back in the USSR" zwar mit dem Ende des Sozialismus, gewinnt daraus aber eine hinreißend humorvolle Revue. Berührungsängste müssen die Hallenser und ihre Gäste beim Kontakt mit den Theatern der Welt also nicht haben. Sie werden japanischen und afrikanischen Tanz ebenso genießen können wie französisches oder argentinisches Bildertheater - Komm! Ins Offene.