1. MZ.de
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. Theater: Theater: Der Denker in der Irrenanstalt

Theater Theater: Der Denker in der Irrenanstalt

Von Ute van der Sanden 09.05.2007, 14:07

Gera/MZ. - Angeblich überreichten die Restauratoren den Fund Herrn Matthus zur "fachmännischen Begutachtung". Und nun wurde das Bühnenwerk, das jener angeblich aus den Autografen montiert hat, am Theater Altenburg-Gera uraufgeführt.

Ring mit Braunschweig

Wahr ist: Am Wochenende hatte in Gera eine Oper von Matthus Premiere. Sie heißt "Cosima", ist seine elfte, und die Erregung öffentlichen Staunens gehört zum Libretto. Rekonstruiert wurde hier aber lediglich das Jugendstiltheater. "Cosima", als "Ringuraufführung" mit dem Staatstheater Braunschweig annonciert, war daselbst zuvor aus der Taufe gehoben worden.

Wahr ist ebenfalls: Nietzsche hat komponiert. Nicht viel, nicht erfolgreich. Wer jemals eine seiner Notenschriften in den Fingern hielt, hörte oder spielte, wusste sofort: Diese Geschichte ist Legende, ein Werbecoup, der Fantasie eines ausgebufften Komponistenhirns ebenso entsprungen wie das lodernde Geschäftsinteresse der alten Bayreuth-Managerin Cosima Wagner an Nietzsches Opernschaf-fen in der Psychiatrie. Wahr ist auch, dass sich Matthus' neues Opus schwungvoll durch den Wagnerschen Opernkanon zitiert.

Gleichwohl ist dem Theater Altenburg-Gera sein Bemühen um das zeitgenössische Musiktheater anzurechnen, zumal das Projekt ausschließlich Ruhm und Ehre nützt. Denn "Cosima" geht nicht ins Anrecht, steht einstweilen nur noch einmal auf dem Geraer und erst ab nächstem März auf dem Altenburger Spielplan. Die Ernsthaftigkeit und die Akribie, mit der sich Sänger und Orchester diesem Kraftakt unterziehen, sprechen aus jedem Takt und verdienen höchste Anerkennung.

Das engagierte Wirken der Musiker, ihre bedingungslose Hingabe sind an diesem Abend das einzig Ergreifende. Regisseur Martin Schüler und Bühnenbildner Dieter Richter haben das schwache Libretto - die erste Hälfte der 13 Episoden schleppt dramatisch, erst danach verwischen interne Opern- und Rahmenhandlung und erzeugen ein Spannungsfeld, das auch psychologisch interessant ist - immerhin mit einer starken Inszenierung versehen. Diffuse, rauchblaue Bilder verorten den Assoziations- und Beziehungsreichtum der Handlung in der Irrenanstalt, wo Nietzsche Ende des 19. Jahrhunderts Patient war. Sie endet tragisch: Erst stirbt Wagner den Tod am Klavier. Dann dreht der Held in einem dionysischen Tanz vollends durch, der mächtig an Strawinskys "Sacre" erinnert. Die Gralsglocken aus dem "Parsifal" geben ihm den Rest.

Wagner-Raten

Die Geraer bejubelten Darsteller, Orchester und Regieteam. Auch der Komponist kassierte Bravos - und Buhs dazu. Logisch. Denn selbstverständlich hat er eine solide Arbeit abgeliefert. Die Komposition kennt kammermusikalische Transparenz und auffahrende Ensembles, sie klingt gut, ist rational prima durchschaubar und ein klasse Ratestück für Wagnerianer. Was nicht gelang, ist, Emotionen in eine Musik zu übersetzen, die den Hörer erreicht. Und bewegt.

Sie kennt keine Melodien, keine thematische Arbeit, keine Höhepunkte und Spannungsbögen - bis auf jene freilich, die Matthus beim Hügelheroen borgte: Im Umgang mit dem Wagnerschen Material hat die Partitur ihre besten Momente. Als Bilanz so vieler Angeblichkeiten ist das ein bisschen wenig.

Nächste Vorstellung:

1. Juni, 19.30 Uhr