Theater Theater: Ausnahme-Regisseur Jürgen Gosch wird 65 Jahre alt

Berlin/dpa. - Dabei biedert er sich nie bei den Zuschauern an. Er sorgt gern mitprovozierenden Inszenierungen für einen Skandal - so 2005 amDüsseldorfer Schauspielhaus, wo er Shakespeares «Macbeth»ausschließlich von nackten Männern spielen ließ. Die Inszenierung isttypisch für ihn: kühl in der Führung der Gedanken, reflektierend beimVorführen von überbordenden Gefühlen, durchweg mit klugen politischenAssoziationen gespickt. Das macht ihn in der deutschsprachigenTheaterlandschaft zu einem Ausnahme-Regisseur.
Das Wiener Burgtheater hat eine ursprünglich diesen Oktobergeplante Inszenierung von Goethes «Faust I» und «Faust II» wegeneiner schweren Erkrankung Goschs abgesagt, wie die Theaterleitungjetzt mitteilte. Gosch wollte die beiden «Faust»-Teile erstmals nach40 Jahren wieder auf die berühmte Wiener Bühne bringen. DieInszenierung soll nun im Herbst 2009 vom designierten Burgtheater-Chef Matthias Hartmann übernommen werden.
Die Laufbahn Goschs begann Anfang der 60er Jahre mit demStudium an der (Ost-)Berliner Hochschule für Schauspielkunst «ErnstBusch». Nach verschiedenen Engagements als Schauspieler und erstenRegiearbeiten in Potsdam etablierte sich Gosch an der Volksbühne amRosa-Luxemburg-Platz im Ostteil Berlins. Als dort 1978 seineInszenierung von Büchners «Leonce und Lena» aus politischen Gründenabgesetzt wurde, siedelte der gebürtige Chemnitzer nachWestdeutschland über.
Nach Stationen in Hannover und Bremen erregte er in Köln miteinigen Inszenierungen Aufsehen. Vor allem seine Sophokles-Bearbeitung des «Ödipus», 1984 mit Ulrich Wildgruber in derTitelrolle, wurde gefeiert. Danach fand Gosch bis 1988 seinekünstlerische Heimat am Thalia Theater Hamburg. 1989 übernahm er dieLeitung der Berliner Schaubühne am Lehniner Platz, gab diesen Postenjedoch nach nur einer glücklosen Spielzeit wieder ab. In der Folgearbeitete er in Frankfurt am Main, in Bochum und von 1993 bis 1999fest am Deutschen Theater Berlin. Seitdem ist er wieder als freierRegisseur tätig.
Für seine Inszenierung der «Sommergäste» von Maxim Gorki amDüsseldorfer Schauspielhaus wählte ihn das Theatermagazin «Theaterheute» zum Regisseur des Jahres 2004. Zur «Inszenierung des Jahres2008» wurde Goschs Version von Tschechows «Onkel Wanja» am DeutschenTheater Berlin gekürt. Aufsehen erregte er auch mit der ebenfallsdort entstandenen Inszenierung von Albees «Wer hat Angst vor VirginiaWoolf?». Die kühle Inszenierung mit Corinna Harfouch und UlrichMatthes in den Hauptrollen wurde ein absoluter Publikumsmagnet undmit mehreren Auszeichnungen geehrt.
Zum Skandal führte Goschs «Macbeth»-Inszenierung am DüsseldorferSchauspielhaus wegen ihrer blutigen und brutalen Bilder. DasPremierenpublikum verließ in großer Zahl das Theater. Die daraufhinnach Berlin zum Theatertreffen eingeladene Inszenierung entfachteeine bundesweite Diskussion über Gewaltdarstellungen auf der Bühne.2006 erhielt Gosch für diese Inszenierung den Faust-Theaterpreis.
Gosch arbeitet immer wieder mit dem Ausstatter Johannes Schütz.Dazu schrieb eine Kritikerin: «Die Bühnenbilder, die Johannes Schützfür Gosch entwirft, sind karge, geschlossene Kästen, aus denen eskein Entrinnen und in denen es keine Kuschelecken für alteSehgewohnheiten gibt.» Das ist das Entscheidende von GoschsTheaterarbeit: Er lullt das Publikum nie mit schicken Nettigkeitenein, verlangt mitdenkende Zuschauer, bedient keine Erwartungen. Damitbleibt er, allem Für und Wider zum Trotz, sich selbst treu. DasTypische seiner Arbeit benannte er einmal kurz und bündig so: «Ichmöchte, dass die Leute mit Gewinn aus dem Theater gehen, Gewinn anGedanken und Gefühlen. Was nicht immer Zustimmung heißen muss.Meinungsstreit um das Gesehene kann doch sehr anregend sein.»