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Theater an der Angel Theater an der Angel: Im bunten Reich der Phantasie tobt eine Kisschenschlacht

Von Andreas Hillger 12.03.2006, 19:12

Magdeburg/MZ. - Wenn nun ausgerechnet die vogelfreien Selbstausbeuter vom Magdeburger "Theater an der Angel" einen Abend nach diesen Kollegen benennen, könnte man dahinter den Neid der Ungeschützten vermuten. Doch damit würde man unterstellen, dass Ines Lacroix und Matthias Engel ihren Status als Not - und nicht als Glück begreifen.

Poetische Hausbesetzer

Tatsächlich ist "No. 66", wie das Stück nach seinem Aufführungsort in der Magdeburger Mittelstraße auch heißt, eine poetische Hausbesetzung. Die sanierungsbedürftige Villa, die zuletzt dem städtischen Umweltamt als Domizil diente, darf noch einmal ihre Geschichte erzählen, ehe die neuen Besitzer einziehen. Und da diese Eigentümer Lacroix und Engel heißen, wird der Besuch zur Suche nach dem Geist und den Geistern des Ortes. Schon die raunende Concierge in ihrer lavendelduftenden Pförtnerloge verspricht, was die anderen Untermieter halten: Während sie an den Türschlüsseln feilt, erzählt sie von der weißen Frau und dem schwarzen Mann, dem rot glühenden Liebespaar unter dem Dach und dem gelbgrünen Trinker im Keller.

Ihnen allen begegnen die Zuschauer auf ihrer Wanderschaft über Treppen und Flure. Und sie hören dabei Geschichten, die das Haus über den März des Jahres 2006 und den Magdeburger Sandwerder hinausheben. Da ist die alterslose Schöne, die sich in ihrem kahlen Zimmer mit einer Fensternische begnügt, um von Paris und ihrem Geliebten Napoleon zu träumen. Da ist der Opernsänger, der auf seinem Flügel friert und sich die Noten mit dem Waffeleisen aus den Fingern pressen will. Da ist der Lohnschreiber, der in seiner Matratzengruft an Empfindsamkeiten bastelt und sich an seiner süßen Geliebten wärmt. Und da ist der heilige Narr, der sich dem Verderben schlückchenweise nähert und die Welt hinter Wänden aus leeren Flaschen aussperrt.

Unterschiedliche Tempi

Die Miniaturen, von den Darstellern entwickelt und von Andreas Kriegenburg behutsam zusammengefügt, bestechen durch unterschiedlichen Tempi und Temperaturen. Während der kraftstrotzende Nino Sandow aus dem Pfeifen eines Teekessels ein Musikkabarett entwickelt, lockt Therese Tomaschke in die schreckliche Schönheit einer Grimmschen Märchenwelt. Und während sich Marja Hoffmann und Lars Wild eine fröhlich-frivole Kissenschlacht liefern, kommt Ines Lacroix ein melancholisches Lächeln über die Lippen, Matthias Engel besticht durch die präzise Eskalation seines Rauschs. Es ist ein altmodisch liebenswertes Theater, das durch seine Lust am Spiel bezaubert, ehe es seinen Gast mit einem Teller Brotsuppe bewirtet.

Und es ist tatsächlich ein Theater der Unkündbaren. Denn aus ihrer Anstellung im Reich der Phantasie können sich die Menschenfischer vom "Theater an der Angel" nur selbst entlassen. Und aus der Mittelstraße 66 auch.

Nächste Vorstellungen: bis 26. März tgl. auß. Mo., 20 Uhr