Thalia Halle Thalia Halle: Theater zwischen den Fronten
Halle (Saale)/MZ. - Die Gerüchte hatten sich über das Wochenende immer mehr verdichtet, gestern nun trat Rolf Stiska vor die Presse, um die offenbar kaum noch abwendbare Schließung des Thalia-Theaters in Halle zu verkünden. Als Grund nannte der Geschäftsführer der Kultur-GmbH das drohende Scheitern der Verhandlungen über einen Haustarifvertrag, das auf unannehmbare Forderungen der Gewerkschaft Verdi zurückgehen soll. Während man sich mit den Arbeitnehmervertretungen für die künstlerisch Beschäftigten - also Solisten, Chor, Ballett und Staatskapelle - weitgehend einig sei, wären von den Interessenvertretern der Technik und Verwaltung zusätzliche Klauseln eingebaut worden, die den Haustarif ausgehöhlt und exklusive Zugeständnisse bedeutet hätten.
Konkret geht es um die Verdi-Forderung, bei jedem neuen Tarifabschluss ab 2012 entscheiden zu können, ob diese durch Freizeitausgleich abgefangen oder bezahlt werden müssen. Der zuständige Verdi-Fachbereichsleiter Michael Kopp, der nach eigenen Angaben etwas mehr als die Hälfte der rund 240 nach dem Tarifvertrag Öffentlicher Dienst Beschäftigten in der GmbH vertritt, sagt hingegen, diese Klausel werde aus juristischen Erwägungen heraus gefordert.
Die Gewerkschaft habe sonst keine Möglichkeit, Beschäftigte zu Warnstreiks aufzurufen, weil sie generell auf Tariferhöhungen verzichtet habe. Kopp sprach von einem Schwarze-Peter-Spiel. Die Gewerkschaft habe sich an den Gesprächen immer konstruktiv beteiligt und ein Sonderkündigungsrecht angeboten für den Fall, dass die Klausel doch genutzt werde. Diese Unsicherheit ist es, die Stiska als Problem beschreibt: Wenn der Passus enthalten sei, könne er auch angewandt werden - etwa, wenn später ein anderer Verdi-Vertreter am Verhandlungstisch sitze.
Die zweite Sonderregelung ist laut Stiska noch weitreichender: Verdi-Mitglieder hätten eine um ein Jahr verlängerte Kündigungsfrist bekommen sollen - und zwar alle, die bis Ende Mai 2011 in die Gewerkschaft eingetreten wären. Laut Kopp ist dies nicht der Versuch, einen Vorteil zu erlangen - sondern die Nachteile auszugleichen, die den Angestellten im Vergleich zu den künstlerisch Beschäftigten mit ihren wesentlich längeren Nichtverlängerungsfristen entstünden. Der Verdi-Gewerkschafter sagt, diese Forderung sei auch von den Mitgliedern an ihn herangetragen worden. Im übrigen sei man weiter gesprächsbereit, allerdings müssten sich nun auch die Arbeitgeber auf Verdi zubewegen.
Damit wird der zähe Prozess fortgesetzt, der exakt vor einem halben Jahr begann: Am 8. Oktober hatte Stiska verkündet, dass die Bühnen und Orchester wegen der Tarifabschlüsse vom Anfang des Jahres auf die Insolvenz zusteuern würden und ein Defizit von mehr als einer halben Million Euro ausgleichen müssten. Die einzige Alternative zur Schließung eines Hauses wäre laut Geschäftsführung ein solidarischer Akt aller Mitarbeiter gewesen. Konkret ging es um 7,5 Prozent Gehaltsverzicht, der durch drei Stunden weniger Arbeitszeit pro Woche vergolten werden sollte. Die Entscheidung, das Thalia-Theater zu opfern, war laut Michael Kopp allerdings rein politisch - und wird von der Gewerkschaft in den Verhandlungen als "Drohkulisse" empfunden.
Neben den Thalia-Schauspielern, die ihre Nichtverlängerung bereits Ende Oktober erhalten hatten, müssen nun auch 25 Mitarbeiter aus dem so genannten Zentralbereich ihre betriebsbedingte Kündigung erhalten - also aus Technik und Verwaltung, aber nicht unbedingt aus dem Thalia-Theater. Dabei soll eine Sozialauswahl greifen, die Geschäftsführung ist vom Aufsichtsrat am vergangenen Freitag mit der Vorbereitung der Kündigungen beauftragt worden. Laut Rolf Stiska ist bei solchen Kündigungen in der Regel eine Frist von sechs Monaten einzuhalten, zudem werden Abfindungen fällig - die Sparmaßnahmen können also erst ab September greifen.
Bis dahin sollen die anderen Sparten auch das Angebot für Kinder und Jugendliche übernehmen, das bislang vom Thalia-Theater geleistet wurde. Stiska ist zuversichtlich, dass Matthias Brenner mit dem Neuen Theater dabei eine wichtige Rolle spielen kann - auch weil die wegen der Dauer ihres Engagements unkündbaren Thalia-Schauspieler dorthin wechseln. Zudem sollen Thalia-Angebote wie etwa die Kinderstadt unter dem Dach der GmbH fortgesetzt werden.
Eine letzte Frist bleibt: Da die Kündigungen Ende März ausgesprochen werden, könnte der Vertrag bis dahin noch unterschrieben werden. Aber Stiska sagt, er müsse so agieren, als wäre "Scheitern sehr wahrscheinlich". Auch sonst ist die Botschaft eindeutig: "Was im März nicht geklärt wird, ist definitiv." Kommentar Seite 4