«Tanguera» «Tanguera»: Gefährliche Leidenschaften
Halle/MZ. - In dem großen Tango-Musical - das auf seiner Welttournee demnächst auch in der Dresdner Semperoper Station macht - wird die tragische Geschichte einer jungen Französin erzählt, die am Anfang des 20. Jahrhunderts nach Argentinien auswandert. Doch die Versprechungen, mit denen sie der Zuhälter Gaudencio gelockt hat, erweisen sich als falsch. Ein tödlicher Tanz nimmt seinen Anfang ... Der Kern und das Korsett der von Diego Romay und Dolores Espeya erdachten Geschichte aber ist die Musik: Herzzerreißende Balladen des Komponisten Gerardo Gardelin und der Texterin Eladia Blazquez, die tradiertes Material behutsam aktualisieren und in den Arrangements von Lisandro Adrober doch immer unverwechselbar argentinisch bleiben.
Um diese rauen, sentimentalen Songs hat Choreografin Mora Godoy einen rasanten Reigen gebaut, dessen Interpreten ausnahmslos Weltklasse sind. "Tanguera" ist tänzerisch so berauschend, dass man ein Problem der Show generös übersieht: Wer ein "Musical" in der hergebrachten Form erwartet, wird enttäuscht werden. Nur eine Sängerin erhebt ihre Stimme in den Hinterhöfen und Bordellen, das übrige Ensemble lässt seine Körper sprechen und singen. Dass dabei aber eine Qualität erreicht wird, die selbst professionelle Tango-Shows in den Schatten stellt, liegt vor allem an den drei Haupt-Charakteren Gabriela Amalfitani (Giselle), Oscar Martinez Pey (Gaudencio) und Esteban Domenichini (Lorenzo).
Diese Figuren stehen für eine gefährliche Menage à trois: Obwohl sich die zerbrechliche Giselle einerseits von der Kraft und Gewalt ihres Verführers abgestoßen fühlt, verfällt sie doch immer wieder seiner gefährlichen Eleganz. Lorenzo hingegen, der als einfacher Hafenarbeiter die Ankunft der Immigrantin beobachtet und sich heillos in sie verliebt hat, ist in seinem jugendlichen Ungestüm der Gegenentwurf zu diesem Macho - und wird ihm am Ende unterliegen.
Dass "Tragik nirgends so schön wie in dieser Musik" sei, lobt der Star-Dirigent Daniel Barenboim an den Tangos seiner Heimat Argentinien. "Tanguera" zeigt zudem, dass dieser um 1920 im berüchtigten Hafenviertel "La Boca" entstandene Tanz weder Geschlechtergrenzen noch festgelegte Temperamente kennt. Der Tango, dessen Siegeszug durch das Bandoneon als typisches Instrument begleitet und von Komponisten wie Carlos Gardel und Astor Piazzolla geprägt wurde, kann hier einen Kampf zwischen Männern oder eine Rivalität unter Frauen begleiten. Und er ist ebenso komisch wie tragisch, wenn er den Bordellbesuch eines senilen Greises oder den ernüchternden Blick der Nachtklub-Tänzerin in den Garderobenspiegel begleitet.
Dass "Tanguera" eine jener internationalen Tournee-Produktionen ist, die sich auf sehr unterschiedlichen Bühnen und vor verschiedenen Publikumsgeschmäckern bewähren müssen, sieht man ihr nicht an. Das Bühnenbild ist einfach, aber raffiniert, die Inszenierung kompromisslos schnell und schnittig. Und ihr fatalistisches Finale gleicht der üblicherweise bonbonbunten Musical-Sentimentalität überhaupt nicht: Am Ende wird eine neue Giselle von Bord eines Schiffes gehen - voller Hoffnung auf ein besseres Leben und empfangen von jenen bedrohlich schönen Männern, die angeblich nur ihr Bestes wollen ...
Dass der Tango mit dieser Geschichte zudem noch einmal jenen Umweg nimmt, den er in seiner Heimat einst auch für den Erfolg brauchte, ist ein bemerkenswerter Nebeneffekt. Denn erst, nachdem die Mischung aus Romantik und Sozialkritik die Salons von Paris erobert hatte, durfte sie auch in Buenos Aires aus dem Schatten der Kaschemmen treten und in die feine Gesellschaft aufsteigen. Dass er inzwischen der kulturelle Exportschlager Nummer 1 ist, macht sich nun auch "Tanguera" zunutze.
"Tanguera ist vom 12. bis zum 27. Juli in der Semperoper zu Gast, an den Wochenenden finden Doppelvorstellungen statt. Tickets gibt es unter 0180 / 51 52 53 0.