Talk bei "Anne Will" zur Ukraine Talk bei "Anne Will" zur Ukraine: Alles dreht sich um Wladimir Putin oder nicht?

Berlin - Es ist gefühlt die tausendste Gesprächssendung, in der die Ukraine-Krise seziert wird. Aber die Diskussion bei Anne Will Mittwochnacht ist gefühlt so ziemlich die erste im deutschen Fernsehen, an der ein leibhaftiger Ukrainer teilnehmen darf. Der, in Gestalt des Botschaftsgesandten Vasyl Chymynez, bedankt sich dafür im Verlaufe auch artig. Aber er kommt natürlich nicht gleich zu Wort, denn das Thema stellt wieder einmal Wladimir Putin voran: "Alles dreht sich um Putin - Bleibt die Ukraine auf der Strecke?"
Gleich drei Spitzendiplomaten hat Anne Will eingeladen. Das hat den Vorteil, dass Schläge unter die Gürtellinie und deutliche Ausraster ausbleiben. Es hat den Nachteil, dass oftmals der Klartext vermieden wird. Immerhin beginnt Russlands Botschafter Wladimir Grinin mit eindeutigen Positionsbestimmungen: Russland wolle der Ukraine helfen, die Ursache allen Übels sei der "Staatsstreich" vom 22. Februar in Kiew, der legitime Präsident Janukowitsch sei verjagt worden, der Anschluss der Krim an Russland sei ein völkerrechtlicher Vorgang, der höhere rechtliche Legitimität besitze als das ukrainische Staatsrecht. Wenn Russland damals im März nicht eingegriffen hätte, "dann hätten wir Krieg". Leider gab Grinin nicht zu erkennen, wie sich der derzeitige Zustand in seinen Augen vom Krieg unterscheidet.
Verbale Frontlinie zwischen dem Russen und dem Ukrainer
Der ukrainische Gesandte muss sichtlich all seine Fähigkeiten als Diplomat aufwenden, um zu antworten. Dann bricht es doch aus ihm heraus: "Wie viele Beweise müssen wir noch liefern, dass Russland einen Krieg gegen die Ukraine führt. Die russischen Soldaten machen doch im Osten unseres Landes keinen Urlaub, sie haben sich auch nicht verlaufen." Zwischen dem Russen und dem Ukrainer, die Will nebeneinander gesetzt hat, verläuft von Beginn an eine verbale Frontlinie. "Alles ist zerstört, was wir mit so viel Mühe aufgebaut haben", klagt der russische Botschafter. Wer es denn zerstört habe, will Anne Will wissen. Grinin vermeidet eine direkte Schuldzuweisung, macht jedoch ausreichend deutlich, dass er sein Land für völlig unschuldig ansieht.
Die Grünen-Politikerin Marieluise Beck, die sich seit den Tagen von Tschernobyl in der Ukraine engagiert, wird deutlicher: Russland habe das Vertrauen zerstört. Ein wenig versuchen sie und Chymynez an der russischen Legende vom Staatsstreich zu kratzen. Janukowitsch sei nicht verjagt worden, er sei bei Nacht und Nebel geflohen, sagt Beck. Er habe seine Flucht tagelang vorbereitet, sagt Chymynez und verweist auf Videoaufnahmen der Überwachungskameras aus Janukowitschs Residenz, die das eindeutig belegen.
Diskussion ist rückwärtsgewandt
Hans-Joachim von Studnitz, dem früheren deutschen Botschafter in Moskau, ist die Diskussion zu rückwärtsgewandt. Die Frage, was wann gewesen sei, möge man doch schon jetzt an die Historiker und Völkerrechtler übergeben, befindet er. Er empfindet die Benennung von Ursache und Wirkung offensichtlich als hinderlich für den notwendigen Dialog. Jetzt gehe es darum, zu reden, sagt er - und zwar nicht auf offener Bühne, sondern mit Geheimdiplomatie. Es wäre interessant zu erfahren, wie sich Studnitz diesen Rückfall in das 19. Jahrhundert unter den Bedingungen von Youtube, Twitter und überhaupt: dem Internet vorstellt. Aber leider wird die Forderung des 77-Jährigen einfach so hingenommen.
Wie gut es ist, dass sich in dieser Runde Menschen begegnen, die sich zu beherrschen wissen, wird an einem ebenso unabsichtlichen wie unsäglichen Vergleich des Ex-Botschafters Studnitz deutlich. Als es um Matthias Platzeck und dessen Vorschlag zu einer völkerrechtlichen Regelung eines völkerrechtswidrigen Vorgangs geht - die Annexion der Krim - springt der Ehrenvorsitzende des Deutsch-Russischen Forums dem derzeitigen Vorsitzenden mit einem historischen Vergleich bei. Deutschland habe sich doch auch mit der Abtrennung der deutschen Ostgebiete abfinden müssen, sagt er. Marieluise Beck erwidert lediglich, gerade die Deutschen dürften doch der Ukraine nicht erklären, "was wir für zumutbar halten".
Russland hat das erste Wort
Doch insgesamt zeigte auch diese Diskussion wieder, wie schwer es ist, den Fokus tatsächlich auf der Ukraine zu halten. Lange geht es erneut um deutsch-russische und inzwischen auch intern deutsche Befindlichkeiten wie den Streit um die Ausrichtung des Petersburger Dialogs. Auch als es am Schluss um das Bestreben der ukrainischen Führung für eine Nato-Mitgliedschaft geht, wird zuerst der russische Botschafter gefragt. Als sei es ausgemacht, dass Russland das erste Wort dazu haben muss. Doch so ist es wohl auch. Dem ukrainischen Gesandten bleibt danach nur der sarkastische Dank, "dass ich diese Frage auch noch beantworten darf". Er gibt zu Protokoll, was jeder weiß, dass diese Frage aktuell nicht auf der Tagesordnung stehe und am Ende mit einem Referendum der Ukrainer entschieden werde. In seinen Worten scheint mehr Hoffnung, als Gewissheit zu liegen.
