"Sweeney Todd" in der Oper Halle "Sweeney Todd" in der Oper Halle: Publikum feiert das blutige Vergnügen

Halle (Saale) - Es fängt schon mit der Genrebezeichnung an. Ein Musical? Also schmalzige Balladen und eine zentrale Lovestory, große Ensemblenummern, bei denen die Fetzen respektive die Beine in der Chorus-Line fliegen. Und ein paar Hits, von denen mindestens einer als Rausschmeißer geeignet ist. Das alles bietet „Sweeney Todd“ eher nicht. Oder höchstens am Rande.
Immerhin: Martin Gerke als Anthony (Marke: smarter Langhaar- und Brustfrei-Schlagerfuzzi) und Andormahi Raptis als Johanna (im rosa Barbie-Look) liefern eine Love-und-ich-rette-dich-Story und die Parodie der zugehörigen Klischees gleich mit.
Barbier Sweeney Todd mit Rachefuror
Das eigentliche Paar in diesem Stück aber ist eher auf der nachtschwarzen Seite daheim. Da treffen sich der Rachefuror des Barbiers Sweeney Todd und der abartige Geschäftssinn der Pastetenbäckerin Mrs. Lovett.
Er, den der fiese Richter Turpin für 15 Jahre in die Verbannung geschickt, dessen Frau ins Elend gestürzt und die Tochter in seine „Obhut“ entführt hat. Sie, die kein Problem damit hat, ihr schlecht gehendes Pastetengeschäft in der Fleetstreet mit menschlichen Zutaten wieder in Schwung zu bringen.
Erstes Opfer ist Barbierkollege Pirelli
Der erste, dem Sweeney die Kehle durchschneidet, ist der Barbierkollege Pirelli. Dessen handwerkliche Konkurrenz muss er zwar nicht fürchten - er gewinnt ein öffentliches Wettrasieren spielend. Wohl aber dessen Wissen um seine Identität und seinen Erpresser-Ehrgeiz.
Als Mieter Sweeney und Vermieterin Lovett vor der Frage stehen: Wohin mit der Leiche?, ist die perverse Geschäftsidee geboren. Und ein Start-up-Unternehmen der besonderen Art nimmt seinen Lauf. Dabei wollte sich Sweeney eigentlich nur am Richter und dessen Büttel rächen. Es werden ein paar mehr Leichen.
Und als herauskommt, dass sich seine totgeglaubte Frau hinter der Bettlerin verbirgt, die auch im fortgeschrittenen Alter Sex für Geld anbietet und Mrs. Lovett davon wusste, ist auch diese Zweck-Partnerschaft zu Ende.
Vor der Pause regnet es Blut
Jetzt muss auch Mrs. Lovett zusehen, dass sie das rote Tuch schnell findet, das in der Inszenierung von Martin Miotk das spritzende Blut vertritt. Vor der Pause regnet es in Strömen. Blut, was sonst. Ein paar der grandiosen Kostüme, Perücken und Masken überstehen das nicht unbeschadet. Die Kostüm-Opulenz dieser Produktion ist eine Meisterleistung von Andy Besuch.
Auch die darstellerische Glanzleistung des Chores (einstudiert von Rustam Samedov und Peter Schedding) sowie der Statisten und Tänzer des Ballett-Ensembles Rossa trösten darüber hinweg, dass es mit der Textverständlichkeit nicht immer allzu weit her ist. Der Kasten für Übertitel hängt zwar da, blieb zur Premiere aber aus. Schade.
Gerd Vogel überzeugt als Sweeney Todd
Mit Textverständlichkeit hat ein (auch musicalversierter) Allrounder wie Gerd Vogel als Sweeney kein Problem. Mit der anspruchsvollen Partie ebenso wenig. Auch Katharina Schutza als seine finstere Geschäftskomplizin ist eine Wucht.
Bei den Nebenrollen faszinieren Stefan Stara als schmieriger Büttel, Helga Hahnemanns einstige Bühnenpartnerin Dagmar Gelbke als deftige Bettlerin und Tomas Möwes als trotteliger, höchst präsenter Richter Turpin.
Gattung Musical über Klischees hinausgetrieben
Julius Dörner aus der Nachwuchsriege des Opernhauses verkörpert den clownesken Tobias, der dem Blutrausch mit einem beherzten Schnitt durch Sweenys Kehle ein Ende macht. Dörners Spiel funktioniert vor allem deshalb, weil er die Authentizität des unschuldigen Jungen ausspielt.
Die konsequente Stilisierung der Optik und des Spiels erlauben es, sich trotz des Horrors zu amüsieren. Schwarzer Humor halt. Stephen Sondheim hat mit „Sweeney Todd“ die Gattung Musical über die Klischees des Weichgespülten hinausgetrieben.
Wunsch von Intendant und Generalmusikdirektor
Dieses sehr spezielle, musikalisch anspruchsvolle Stück in Halle auf die Bühne zu bringen, war nicht nur ein Wunsch von Intendant Florian Lutz, sondern auch vom scheidenden Generalmusikdirektor Josep Caballé-Domench.
Dieser hat selbst mit Sondheim zusammengearbeitet und das Stück in Barcelona auch schon einmal auf die Bühne bracht. Der Staatskapelle Halle konnte Caballé-Domench seine Begeisterung jedenfalls vermitteln und die reichte das Orchester weiter ans Publikum. Am Ende - ganz wie im Musical - einhelliges Gejohle.
››Nächste Aufführungen am 22. und 29. März sowie am 7. April, jeweils um 19.30 Uhr in der Oper Halle
(mz)