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Steinzeit-Venus wurde vor 100 Jahren gefunden

Von Miriam Bandar 05.08.2008, 09:20

Wien/dpa. - Die gesichtslose nackte Dame mit Lockenkopf oder Haarschmuck blickt leicht nach unten, ihre Arme ruhen auf ihren schweren Brüsten, und unter ihrem ausladenden Bauch tritt deutlich ihre Vagina hervor.

Rund 25 000 Jahre älter als die Mona Lisa mit ihrem geheimnisvollen Lächeln gibt die Venus von Willendorf der Wissenschaft mindestens genauso viele Rätsel auf. Am 7. August vor 100 Jahren wurde die rund 11 Zentimeter große Kalksteinfigur in Willendorf in der Wachau in Österreich gefunden. Die von einem damaligen Künstler sehr fein gearbeitete Frau stammt aus der Steinzeit und ist wohl Österreichs bekanntestes archäologisches Fundstück.

Welche Funktion die weibliche Figur bei den Steinzeitmenschen hatte, darüber können ihre Nachfahren heute nur spekulieren. Die Erklärungsversuche reichen von der Darstellung einer Göttin über ein Fruchtbarkeitssymbol oder einer Art Steinzeit-Porno bis hin zu einem Kinderspielzeug. «Wir können das Denken der steinzeitlichen Menschen schlicht nicht nachvollziehen», sagt die Venus-Expertin und Kuratorin des Naturhistorischen Museums in Wien, Walpurga Antl-Weiser. Die Venus fasziniere die Menschen heute sehr, weil sie vermuten, über sie ihren Vorfahren näherkommen zu können. Doch nach Einschätzung der Expertin kann das kaum gelingen. «Alles, was wir interpretieren, machen wir vor dem Hintergrund unserer eigenen Erfahrungen», sagt Antl-Weiser. Und da es sich im Großstadt-Dschungel deutlich anders lebt als in der Altsteinzeit, kann es nur Vermutungen geben.

«Es war damals schon eine hochkultivierte Gesellschaft mit allen Details», sagt Gerhard Hintringer vom Landesmuseum Niederösterreich, in dem die Venus momentan ausgestellt ist. In der Schau «Mammut, Mensch und Co. - Steinzeit in der Eiszeit», will das Museum die Lebensumstände von damals zeigen. Die Menschen damals konnten seiner Schilderung nach schon aus der Ferne auf Tiere jagen, hatten zahlreiche Werkzeuge und ein Sozialsystem. Als Nomadenvölker zogen sie durch eine karge Natur. «Die Landschaft sah aus wie in Sibirien heute, nur ohne Regen», sagt Hintringer. Es sei unwahrscheinlich, dass damals alle Frauen so ausgesehen hätten wie die pummelige Venus. «Es war wohl eine Art Idealbild», vermutet Hintringer.

In ganz Europa wurden nach Angaben der Experten Frauenfiguren aus Stein aus dieser Zeit gefunden. «Unsere Venus ist wohl die fülligste und am besten erhaltene», sagt Antl-Weiser. Die Mehrzahl der Figuren stellten eher reifere Frauen dar, deshalb sei eine Deutung als Fruchtbarkeitssymbol nicht treffend. Alle Fundstücke verbinde das fehlende Gesicht und die fehlenden Füße. «Das kann keine Zufälligkeit sein, da muss irgendeine Symbolik dahinter stecken», vermutet die Expertin.

Auch wenn die österreichische Venus recht realistisch gehalten ist, sind ihre Geschlechtsmerkmale stark betont: «Ihre Körperfülle ist schon künstlerisch überformt, sonst müssten gewisse Körperteile mehr der Schwerkraft nachgeben.» Doch ihre Speckfalten und ihre Knie seien so detailgetreu herausgearbeitet, dass der Künstler irgendein realistische Vorbild gehabt haben muss, sagt Antl-Weiser. «Die Art, wie sie gestaltet ist, ist meisterhaft - das macht noch heute ihre Faszination aus.»

In der Esoterik-Szene haben sich zahlreiche Legenden um die rätselhafte Frau aus der Steinzeit gestrickt. Es gibt Venus-Schmuck, Venus-Seife, und sie hat eine eigene Briefmarke. Hundert Jahre nach ihrer Entdeckung reist die füllige Dame nun für ein paar Tage wieder an ihren Fundort Willendorf, wo ein großes Venusfest gefeiert wird. Danach zieht sie wieder in ihre mit Panzerglas gesicherte Vitrine im Naturhistorischen Museum in Wien ein. Dort besuchen sie nach Angaben von Antl-Weiser häufig Verehrer: «Es ist erstaunlich, wie viele Künstler sich heute noch mit ihr beschäftigen - sie ist eine nicht versiegend wollende Quelle der Inspiration.»