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Staatskapelle Halle Staatskapelle Halle: Ein vollendeter Abgesang auf alles Irdische

Von manuela schreiber 30.09.2012, 19:51

Halle (Saale)/MZ. - Nein, nicht jeder kann sich einlassen auf eine 90 Minuten andauernde Agonie, auf ein sinfonisches Requiem, das in die Moderne hineinragt und dennoch auf der Klaviatur des musikalisch vielbeschworenen Fin de Siècle spielt. Da ist die strenge Schule des Hörverständnisses und der Hörgewohnheit gefordert, die nicht jeder durchlaufen will, weshalb einige der Abonnementsplätze bei den Sinfoniekonzerten der Staatskapelle Halle frei bleiben, wenn ein Werk wie die 9. Sinfonie von Gustav Mahler angekündigt ist.

Schon das erste Konzert der neuen Saison beginnt also mit einem gigantischen Kracher, bei dem der noch für ein Jahr amtierende Generalmusikdirektor Karl-Heinz Steffens aber einem anderen das Pult überlässt. Jonas Alber, vielgereister und international angefragter Dirigent aus Süddeutschland, stand am Sonntagmorgen also das erste Mal vor der Staatskapelle.

Mit sparsamen, aber klaren Bewegungen, mit ruhiger Entschlossenheit, die nicht immer alle Emotionen, aber eine geradezu klassische Souveränität erkennen ließ, führte er die Musiker durch das letzte vollendete Großwerk Gustav Mahlers. In einem letzten Schaffensrausch, schon gezeichnet von schwerer Krankheit und Todesahnung, entrang er sich 1909 dieses sinfonische Vermächtnis, das bis heute erschüttert.

Mag auch der Einstieg in den ersten Satz ein wenig zerfasert gewirkt, das langsame Zeitmaß der anfangs aufsteigenden Cantilenen zu zerdehnt und die ersten dunklen, jähen Einbrüche nicht ihre volle mystisch-packende Wirkung entfaltet haben, spätestens beim zweiten Satz gelang alles. Der typisch Mahlersche Humor wienerischer Prägung tirilierte in den Hörnern, in hinkenden stampfenden Tanzsätzchen samt zerrissenen volksliedhaften Versatzstücken. Plötzlich bricht in diese sarkastische Derbheit die tannenumstandene Idylle freundlicher Weltentrücktheit, wo auf Baumwipfeln die Sonne leuchtet, Vögel zwitschern und Tiere durchs Unterholz streifen.

Hier entwickelte die Interpretation von Jonas Albers und der Staatskapelle einen magischen Sog. Die Steigerung musikalischer Klasse setzte sich fort im marschartigen Voranschreiten des dritten Satzes, diesem Mahler so immanenten Aufbegehren, das alle seine Werke durchzieht. Hier in der letzten vollendeten Sinfonie nun harmonisch noch und komplexer, aber doch an ganz Altes anknüpfend: In einer große Fuge verschränkten sich die Orchestergruppen überaus virtuos, bis die Solotrompete eine Melodie anhob, die vom Jetzt und Hier sich abwandte und auf erdferne Landschaften hindeutete - Vorwegnahme des dann folgenden dreißigminütigen Abgesangs auf alles Irdische. Der satte, feinabgestimmte Streicherklang hüllte Raum und Zuhörer ein, reine Harmonie, von nichts unterbrochen als von traumverlorenen Fagott-, Horn-, Flöten-, Cello- oder Violinengesängen, die dann in der Schlusssequenz mit aushauchender Tongebung und zerrenden Generalpausen das Aussetzen des Herzens imitieren, bis nichts mehr blieb als die Erinnerung an eben jenen letzten Ton.