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Spitzenspitzel Ibrahim Böhme  Spitzenspitzel Ibrahim Böhme : Karriere dank Verrat

Von Steffen Könau 04.05.2015, 19:18
Manfred „Ibrahim“ Böhme (rechts) im Januar 1990 mit Markus Meckel, der die DDR-SPD mitgründete.
Manfred „Ibrahim“ Böhme (rechts) im Januar 1990 mit Markus Meckel, der die DDR-SPD mitgründete. dpa Lizenz

Halle (Saale) - Da war er nun, der Junge aus Bad Dürrenberg, zurück in der Heimat als geschlagener Mann. Juni 1990, Haus der Gewerkschaften in Halle (Saale), Parteitag der DDR-SPD. Auf dem Podium sitzen sie alle, die sich ausrechnen, an den Schaltstellen der Macht mitzuregeln, wie es weitergeht in einem Deutschland, das kurz vor der Wiedervereinigung steht.

Mitten zwischen Willy Brandt und Oskar Lafontaine, Johannes Rau und dem frischgekürten Parteichef Wolfgang Thierse sollte auch er sein, Manfred Böhme, der sich seit Mitte der 80er nur „Ibrahim“ nennt. Böhme war bis zu diesem Tag immerhin Parteichef! Doch der Mann mit der hohen Stirn und dem Oberlippenbart, den sie in der SPD den „kleinen König“ nennen, hat nach nicht einmal vier Monaten das Handtuch geworfen: Zwei Jahrzehnte war Böhme unter etlichen Decknamen für das Ministerium für Staatssicherheit tätig.

Böhme bestreitet, schwindelt und lässt für sich lügen

Ein Doppelleben, das im Einheitssommer 1990 noch nicht endet, wie Christiane Baumann in ihrer überarbeitet neu aufgelegten Böhme-Biografie „Das Prinzip Verrat“ (Lukas-Verlag, 19,80 Euro) analysiert. Böhme, Sohn eines Maurers aus den Leuna-Werken und aufgewachsen im Saalekreis-Ort Bad Dürrenberg, kehrt noch einmal auf die politische Bühne zurück, ungeachtet der Vorwürfe. Der gelernte Maurer, zu DDR-Zeiten FDJ- und Kulturfunktionär, bestreitet, er schwindelt, er lügt und lässt für sich lügen. Erst als der Schriftsteller Reiner Kunze ihn Ende des Jahres anhand seiner Stasi-Akte als den Spitzel identifiziert, der bändeweise Berichte verfertigt hat, kapituliert der Politik-Aufsteiger endgültig. Ibrahim Böhme verschwindet von der Bildfläche, er stirbt neun Jahre später fast unbeachtet. Und nimmt die meisten seiner Geheimnisse mit ins Grab.

Galopp auf der Rasierklinge

Christiane Baumann lernte Böhme erst durch seine hinterlassenen IM-Berichte kennen. Die schienen ihr so „verblüffend arrogant“, dass sie begann, der rätselhaften Figur dahinter nachzuspüren. Eine Sisyphus-Arbeit, denn Böhme war ein Mann, der wie selbstverständlich in der Lüge lebte. Wo ähnlich prominente Stasi-Zuträger wie der spätere CDU-Politiker Wolfgang Schnur oder Knud Wollenberger, Ehemann der späteren grünen Abgeordneten Vera Wollenberger, mit hohem Tarnaufwand versuchten, ihre bürgerlichen Tätigkeiten mit dem Job bei der Stasi in Übereinklang zu bringen, ritt Ibrahim Böhme über 20 Jahre gestreckten Galopp auf der Rasierklinge.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie die Stasi auf Böhme aufmerksam wird und mit welchen Mitteln er seine Karriere als Spitzel vorantreibt.

Der Hobbydichter, der zeitlebens an der Gewohnheit festhält, von ihm geschätzte oder für nützlich erachtete Mitmenschen mit selbstgeschriebener Lyrik zu bedenken, lügt und betrügt, wann immer er glaubt, nicht ertappt werden zu können. Mal nennt er sich eine Waise, mal gibt er sich als jüdischstämmig aus, mal ist er knallharter Genosse, mal begeisterter Regimekritiker.

Wie eine Sucht scheint das gewesen zu sein, eine Sucht, die ihn mit 21 Jahren weg aus den Leuna-Werken hin zu höheren Aufgaben und damit fast wie von selbst in Richtung Staatssicherheit treibt, wie die von Christiane Baumann ausfindig gemachten Jugendfreunde und Schulkameraden sagen. „Er hat geblufft, er hat gespielt“, beschreibt sein früher Bekannter Harald Seidel, den Böhme später an die Staatssicherheit verriet.

Stasi wird aufmerksam

Ibrahim Böhme gewinnt dabei. In Greiz eckt der überzeugte Kommunist bei der SED an, gleichzeitig aber wird die Stasi auf den ebenso willigen wie kunstbeflissenen Nachwuchskader mit den geschliffenen Benimmregeln aufmerksam. Der „Geheime Informator“ enttäuscht nicht: Böhme berichtet zu allem und jedem, er ist so eifrig, dass er sogar seinen Führungsoffizieren unheimlich wird. Das MfS misstraut ihm, Böhme fühlt sich nicht ausreichend wertgeschätzt. Er greift zu drastischen Mitteln und zwingt das MfS mit einer öffentlichen Protestaktion auf dem Bahnhof in Magdeburg, ihn zu inhaftieren. Er will keinen Anwalt. Er lässt seine Vernehmer stattdessen wissen, dass er „das MfS höher schätze als die Partei“. Obwohl ein Psychologe Böhme für geistig gestört erklärt, kommt er ohne Prozess frei.

Erfolg dank Verrat

Es ist der Beginn der großen Dissidenten-Karriere, die den selbsternannten „Historiker“ ohne Studium und Abschluss zehn Jahre später in die allererste Reihe der DDR-Opposition führen wird. Ibrahim Böhme ist wie der Korken auf dem Wasser. Je unverfrorener er Freunde, Bekannte und Kollegen verrät, wo immer ihn sein desperater Karriereweg auch hinführt, desto weiter oben schwimmt er.

Für das MfS ist der einzige überzeugte Anzugträger in den Reihen der Opposition ein Glücksfall. Die DDR-Oppositionellen hingegen halten ihn zumindest für einen. Ibrahim Böhme ist zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Als das System zusammenbricht, sitzt der Verräter im Führerstand der Einheitsbahn. Er hat sich einen neuen Lebenslauf ausgedacht, er gibt Interviews, er hat Pläne und Ziele und er spürt den Ministerpräsidentensessel fast schon unterm Hintern. Bis ihn ein paar Stasi-Leute verraten, die glauben, nun habe er sie verraten. (mz)