Skulpturenfund in Magdeburg Skulpturenfund in Magdeburg: Die eingemauerten Jungfrauen

Magdeburg/MZ. - Ein ebenso zufälliger wie Aufsehen erregender Fund öffnet das Fenster auf eine bislang unbekannte Epoche mittelalterlicher Bildhauerkunst in Magdeburg. Es waren bis dato die "Sieben klugen und sieben törichten Jungfrauen" vom Nordportal des Doms, die mit ihren scharfkantig-eleganten Formen den Glanz der Hochgotik widerspiegelten. Ihr Blick könnte einen Steinwurf weiter nördlich auf eine andere Gruppe von Frauenfiguren gefallen sein, die vielleicht vier, fünf Jahrzehnte später beim Kloster Unser Lieben Frauen aufgestellt wurden.
In einem ersten Eindruck haben Fachleute die Stilmerkmale der Figuren jedenfalls ins frühe 14. Jahrhundert gerückt, wie sie vor allem am Faltenfall und in der plastischen Ausformung zu bestimmen sind. Das ist vorerst keine leichte Aufgabe, denn die rund 35 Bruchstücke sind dick mit Klumpen bröckeligen Mörtels überzogen. Kein Wunder angesichts der Fundsituation: Bauarbeiter stießen auf sie tief im Innern einer Umfassungsmauer an der südlichen Einfriedung des Klosters, am heutigen Gouvernementsberg.
Nach gut zwei Wochen der Bergungsarbeiten unter Aufsicht des Landesamtes für Archäologie zählt man im Depot am Domplatz die Reste von bis zu zehn Skulpturen. Ist das schon ein Glücksfall, so bringen die Plastiken außerdem noch umfangreiche Spuren ihrer originalen Farbfassung mit. Man blickt auf glimmend blau und rot abgesetzte Falten, auf fleischfarbene Hautpartien, sogar auf einen Hauch von Goldschimmer in der Krone einer der Frauengestalten.
Es fehlen alle außer zwei Köpfen. Die wiederum zeigen das typisch flache, beseelte Antlitz und die linearen Konturen mittelalterlicher Skulptur. Sie wirken aber lebhafter, da ihre Augenschlitze noch die dunkel ausgemalten Pupillen zeigen. Zudem passen sie auch auf zwei der weniger beschädigten Körper und ergeben zusammen eine Höhe von etwas über einem Meter. Einige Figuren waren jedoch kleiner. Unter anderen Bruchstücken findet man feingliedrige Hände, wallendes Haar und reiches Ornat. Dazwischen liegt ein verwittertes Relief, auf dem Kopf und Tiara eines Bischofs zu erkennen sind.
Sehr viel mehr werden die eingemauerten Jungfrauen über ihre Identität erzählen, wenn sie erst vom Mörtel gereinigt und die Farbreste und Bearbeitungsspuren untersucht sind. Doch es ist jetzt schon klar, dass sie Rätsel aufgeben, die vielleicht nie zu lösen sind.
Am ehesten dürften die Erkenntnisse über die Bedeutung der Figuren auszubauen sein. Offenbar bildeten sie einen Zyklus, möglicherweise von Heiligen. Diese sind gewöhnlich am Attribut ihres Martyriums zu erkennen. Nur eines, eine Pfeil- oder Lanzenspitze, hat sich deutlich erhalten. Ein reich bemaltes Bruchstück scheint zu einer Madonna zu gehören, die das Jesuskind auf dem Arm trägt.
Nach jetzigem Stand ist die Frage kaum zu beantworten, in welchen Zusammenhang die Figuren gehörten. Die Vermutung liegt nahe, dass sie, ähnlich wie die Jungfrauen vom Dom, ein Portal schmückten. Mindestens eine Figur war mit einem Bronzehaken in der Wand verankert. Der abgebrochene Rest steckt noch im Rücken. Eine andere Figur war aber rundum vollplastisch gearbeitet. Weiter muss auch einer der polygonalen Sockel frei gestanden haben. Er könnte die Figur am Mittelpfosten des Portals getragen haben.
Der Fundort ist der deutlichste Hinweis darauf, dass der Zyklus zur Klosterkirche gehörte. Die aber ist für die Epoche kaum archivalisch dokumentiert. Das beklagt auch die Leiterin des Museums, Annegret Labs, selbst eine ausgewiesene Kennerin mittelalterlicher Plastik.
Im 18. Jahrhundert, als die Mauer aufgerichtet und die Figuren eingefügt wurden, entstand auch ein neues Westportal. Niemand weiß, wie es im Mittelalter an dieser Stelle aussah. Vielleicht gehörten die Plastiken zur ebenfalls verschwundenen Alexiskapelle auf dem Gelände des Klosters, etwa dort, wo später die Mauer errichtet wurde.
Überhaupt wären die Jungfrauen die ersten für das Kloster nachweisbaren mittelalterlichen Plastiken. Warum wurden sie zerstört? Gab es keine anderen? Hat es etwas mit den Klostergründern, den Prämonstratensern, zu tun? Ihr Archiv im Strahov-Kloster bei Prag, meint Frau Labs, könnte die eine oder andere Antwort bergen. Bleibt noch die Frage, wohin die Plastiken in Zukunft gehören. Darauf immerhin kann es im Grunde nur eine Antwort geben: Ihr Ort ist das Museum im Kloster Unser Lieben Frauen.