Sitzung der ARD-Intendanten in Halle Sitzung der ARD-Intendanten in Halle: "Ein Leben ohne Risiko gibt es nicht"

Halle (Saale) - Wenn sich die Intendanten der ARD zu ihren Sitzungen treffen, ist es Brauch, dass man einander wechselseitig besucht. Jetzt ist der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) Gastgeber der Konferenz gewesen, die Runde ist am Montag im Funkhaus Halle zusammengekommen, Gastgeberin war die MDR-Intendantin Karola Wille. Sie wird 2016 den ARD-Vorsitz von Lutz Marmor, Intendant des Norddeutschen Rundfunks (NDR), übernehmen. Gründe genug, mit beiden ins Gespräch zu kommen.
Zum Beispiel über das „Junge Fernsehen“, für dessen Einrichtung ARD und ZDF lange gemeinsam geworben und gestritten haben. Nun wird es auf Beschluss der Ministerpräsidenten der Länder aber keinen eigenen Kanal, sondern eine Onlineplattform für junge Zuschauerinnen und Zuschauer geben. Hat das die ARD-Spitze enttäuscht? Er habe nach der Entscheidung spontan gesagt, das Glas sei zu drei Vierteln gefüllt, erinnert sich Marmor.
Schwierige Zielgruppe
Inzwischen sähen sie immer stärker das Positive: „Das ist eine große Chance für uns“, schließlich gehe es um Zielgruppen, die schwer zu erreichen seien. Wille pflichtet bei. Die Entscheidung der Ministerpräsidenten zwänge die ARD dazu, „aus der Onlinewelt heraus und für die Onlinewelt zu denken“. Bewegtbilder spielten dort naturgemäß eine große Rolle, und darauf verstünden sie sich schließlich. Einen Namen hat das „Kind“, das im kommenden Jahr, also bereits zur Amtszeit von Karola Wille als ARD-Chefin, das Laufen lernen soll, noch nicht, die Inhalte sind in der Diskussion. Arbeitsgruppen junger Leute büffeln am Konzept, das nicht einfach die Adaption dessen sein kann und soll, was einmal für den Jugendkanal gedacht worden war.
Ein Prestigeprojekt wird es mit Sicherheit - und unter starker Beobachtung stehen. Birgt aber die Hinwendung zum Netz nicht auch Risiken quasi hausgemachter Art, indem das vergleichsweise alte Medium Fernsehen durch verstärkte Onlineaktivitäten von den Rändern her „ausfranst“? Lutz Marmor lacht. „Ein Leben ohne Risiko gibt es nicht“, sagt er. Und er ist sich sicher: „Wenn wir eine Zukunft haben wollen, und das wollen wir, werden wir im Netz eine Rolle spielen müssen“. Überhaupt glaubt er, dass das Fernsehen mit dem Netz zusammenwachsen werde - „on the long run“, auf lange Sicht.
Aufnahme gesellschaftlich relevanter Debatten
Dabei wolle man indes nicht nur auf die Klicks schielen, wie Marmor sagt. Womit wir bei den Quoten wären. Müssen die Öffentlich-Rechtlichen den Blick so scharf darauf halten und zuweilen Dinge anbieten, die auch die Privaten tun? „Das dürfen wir ja“, verteidigt Marmor seine Innung. Allerdings nicht ohne Verweis darauf, das Erste sei in letzter Zeit eher besser geworden was die Aufnahme gesellschaftlich relevanter Debatten anlangt - selbst wenn das da und dort ein paar Zuschauer gekostet haben sollte. Der NDR-Intendant verweist auf das Edward-Snowden-Interview im Ersten und auf den mehrtägigen Programmschwerpunkt zum 70. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz. Das müsste dann bitte auch mal wahrgenommen werden, findet Marmor. Wer hätte gedacht, dass die gelegentlichen Vorwürfe, die ARD opfere auf dem Quoten-Altar, so treffen könnten?
Ähnlich ist es mit der Diskussion um die Rundfunk-Gebühren, die neuerdings Beitrag heißen, weil es netter klingt. Dass sie, Marmor und Wille, es anders sehen als jene, die eine Abschaffung dieses Beitrags für zeitgemäß halten, würde wohl keinen überraschen, scherzt Marmor. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk lebe nun einmal davon, dass es ein Solidarprinzip gebe - und er leiste schließlich auch einen Infrastrukturbeitrag für die Informationskultur. Im Übrigen habe der neue Beitrag zu mehr Gerechtigkeit geführt, „weil man sich nicht mehr so leicht entziehen kann, wie man das früher vielleicht konnte“.
Geldnot trotz Überschuss
Die unerwartete Folge ist ein Überschuss, den noch niemand genau beziffern kann, der aber auf rund 1,5 Milliarden Euro geschätzt wird. Ein hübsches Sümmchen, von dem ARD und ZDF allerdings nichts haben, da sie an die Zuweisungen gebunden sind, die ihnen auf der Grundlage ihrer Bedarfsmeldungen und nach Prüfung durch die zuständige Kommission (KEF) zugebilligt worden sind. So entsteht die etwas kuriose Situation, dass die Sender, nicht zuletzt der auch von der demografischen Entwicklung gebeutelte MDR, über Geldnot klagen, weil sie bei der letzten Runde den Bedarf „etwas defensiv“ (Marmor) angegeben hatten. Dies sei geschehen, um den Wechsel der Beitragsform nicht durch eine Debatte über eine etwaige Gebührenerhöhung noch zusätzlich zu belasten.
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Karola Wille jedenfalls, deren MDR zuletzt durch gelungene Filme wie „Bornholmer Straße“, „Der Irre Iwan“ aber auch durch den „In aller Freundschaft“-Ableger „Die jungen Ärzte“ aufgefallen ist, würden „sofort ein paar Dinge einfallen“, für die sie ein höheres Budget verwenden könnte. Und Marmor attestiert dem MDR sogleich eine bemerkenswerte Kompetenz im fiktionalen Bereich.
Überhaupt verstehen sich die beiden allem Anschein nach bestens, Marmor sieht „kaum Differenzen“ zwischen ihnen, was ihn auf „große Kontinuität“ hoffen lässt, wenn Wille ihn in einem Jahr als ARD-Vorsitzenden beerbt. Die MDR-Chefin bescheinigt Marmor dafür im Gegenzug, „große Fußstapfen“ zu hinterlassen.
Tod der Familienshow?
Die legen Standfestigkeit nahe. Und die ist ja auch vonnöten - etwa beim Thema der großen Familienshow, von der manche meinen, sie sei endgültig tot. Seit dem Hinscheiden von „Wetten, dass..?“ sind diese Stimmen lauter geworden. Marmor glaubt an die Show, „Klein gegen Groß“ mit Kai Pflaume nennt er als Beweis, auch das „Quizduell“ am Vorabend - räumt aber ein, dass es „zunehmend schwieriger“ werde und auch eine „gewisse Fragmentierung“ des Publikums zu verzeichnen sei.
„Die große Kunst ist es, zeitgemäße Unterhaltung zu bringen“, sagt Wille und nennt Florian Silbereisens „Feste“, die inzwischen modernisiert worden sind, was jüngeren Zuschauern offenbar gefällt - einigen älteren weniger.
Und wie steht es um die Krimis, neben dem Sport die letzte Bastion des „alten“ Fernsehens? Ist da nicht auch, analog zur Finanzwirtschaft, eine Blase denkbar, die eines Tages platzt? Ja, das hält Marmor für möglich, „jede Welle kann einmal abebben“. Allerdings nicht beim „Tatort“, dem „Premium-Produkt“, das „bleibt bis zuletzt“.
Wille sieht es ähnlich und verweist auf den „Tatort“ aus Weimar. Bei „Der Irre Iwan“ hätten sie sich selbst gefragt, ob das die Gemeinde etwa als Klamauk abtun würde? Sie tat es nicht, die Freude war allgemein. Und Marmor hebt das föderale Prinzip beim „Tatort“ hervor, das so reizvoll unterschiedliche Formen hervorbrächte.
Gelassen gegenüber digitaler Konkurrenz
Entschlossen, wie es sich für Intendanten gehört, blicken die beiden in die Zukunft. Auch die digitale Konkurrenz im fiktionalen Bereich von Streamingdiensten wie Netflix sehen sie gelassen. „Angst habe ich nicht“, sagt Marmor , „weil wir selber starke Produkte haben“. Die „Tagesschau“ nennt er, die auch junge Zuschauer mögen, die politischen Magazine, die profilierten Talkshows. Außerdem. so Wille, experimentierten sie auch in der ARD und nennt die drei neuen Doppelfolgen der Erfolgsserie „Weissensee“, die im Herbst im Ersten an drei aufeinander folgenden Abenden laufen sollen.
Im Übrigen kann sich die MRD-Intendantin natürlich „gern mehr Geld“ vorstellen, verweist zugleich aber auf das Prinzip ihres Hauses: „Wir stärken die ARD, das stärkt uns auch“. Marmor sieht das genauso, da ist sie wieder, die schon beschworene Kontinuität. Und auch in der Frage, wie man auf neue Herausforderungen etwa durch die Pegida-Demonstranten reagieren muss, sind sich beide einig: Sie wollen die Positionen benennen, die Leute schon zu Wort kommen lassen, aber vor allem berichten über das, was geschieht.
„Den Schuh“, hier etwas versäumt zu haben, wollten sie sich jedenfalls nicht anziehen, sagt Marmor und verweist auf eine repräsentative Umfrage, derzufolge 70 Prozent der Deutschen die ARD für glaubwürdig halten. Was keineswegs ausschließe, dass man Vorwürfe prüfen und Fehler, sofern sie einem unterlaufen sind, auch korrigieren soll. Karola Wille sagt, „es gibt nur eine Antwort: guten Journalismus“. Das ist es in der Tat, das Lebenselixier der Branche. Nicht nur im Fernsehen. (mz)