Simone de Beauvoir Simone de Beauvoir: Zwischen freier Liebe und Seelenqual

Paris/dpa. - «Selbst ich, die ich relativ vertraut bin mit ihrem Werk, entdecke dabei jedes Mal Neues, Überraschendes», sagte jetzt ihre Freundin, Deutschlands bekannteste Frauenrechtlerin Alice Schwarzer. Allein Schwarzer hat im Jahr 2007 zwei Werke über die wohl einflussreichste Intellektuelle des 20. Jahrhunderts herausgegeben, die am 9. Januar 1908 in Paris als «Tochter aus gutem Haus» - wie de Beauvoir sich nicht ohne Ironie selber nannte - geboren wurde.
So muss das Bild der oft als abgeklärt und frauenfeindlichdargestellten Philosophin teilweise revidiert werden. Die Rebellin aus bürgerlichem Haus war verletzlich und eine durchaus «weiblich» fühlende Frau. Sie litt unter der freizügigen Liebesbeziehung mit dem französischen Philosophen Jean-Paul Sartre, in der jeder mit Wissen des anderen seine Affären haben durfte. Sartre hatte am Ende seines Lebens neben Simone zum Teil noch drei weitere Frauen. «Die Seelenqual, die ich empfand, geht weit über reine Eifersucht hinaus», erklärte de Beauvoir.
Mehr als 50 Jahre lang dauerte dieses unkonventionelle Verhältnis, der legendäre «Pakt» der freien Liebe, der aus beiden einen Mythos und das Musterpaar unter den französischen Intellektuellen machte. Sie setzten der bürgerlichen Ehe ihr Modell einer freiheitlichen Partnerschaft entgegen: Sie lebten in getrennten, aber nahe nebeneinander liegenden Wohnungen und hatten Bettgeschichten mitanderen. Beide waren zeitweise Weggefährten der Kommunisten, kämpftenfür die Unabhängigkeit Algeriens und Indochinas, unterstützten im Mai1968 die Studenten-Aufstände in Paris und die Maoisten.
Doch hinter der tonangebenden Philosophin und Feministin, die 1986im Alter von 78 Jahren starb, versteckte sich eine Frau, die ihreEmotionen nicht mit der Rolle als Intellektuelle verbinden konnte. Inden vergangenen Jahren wurden Briefe von ihr veröffentlicht, die sieals liebende und hingebungsvolle Frau zeigen. Im Jahr 1947 schriebsie an den amerikanischen Schriftsteller Nelson Algren, mit dem sieEnde der 40er Jahre eine Romanze verband: «Ich sollte Reisen und alleArten von Vergnügungen, ich sollte Freunde und das liebliche Parisaufgeben, um auf ewig mit Dir vereint zu sein, aber ich kann nichtnur für Glück und Liebe leben, ich könnte nicht aufhören zu schreibenund zu arbeiten an dem einzigen Ort, wo mein Schreiben und meineArbeit einen Sinn haben.»
Die Galionsfigur der Frauenbewegung, die sich für die legaleSchwangerschaftsunterbrechung engagierte und gegen Prostitutionkämpfte, hat nie auf ihre Weiblichkeit verzichtet: «Die Frau kann nurein vollständiges Individuum sein, wenn sie auch ein geschlechtlicherMensch ist», schrieb sie in ihrem Werk «Das andere Geschlecht». IhrKampf galt deshalb einer uneingeschränkten Gleichberechtigung imDenken und im Leben. Den Durchbruch als Schriftstellerin schaffteSimone de Beauvoir mit ihren beiden existenzialistischen Romanen «Siekam und blieb» (1943) und «Das Blut der anderen» (1945).
Im Gegensatz zu ihren Memoiren spricht de Beauvoir in ihrenBriefen auch sehr offen über ihre Bisexualität. Einige beschuldigten sie sogar der Kuppelei und warfen ihr vor, Sartre immer wieder ihre jungen Bettgefährtinnen vorgestellt zu haben, denen der Philosoph bald den Hof machte. Eines der bekanntesten Dreiecksverhältnisse dürfte wohl das mit der 18-jährigen Philosophiestudentin Bianca Bienenfeld gewesen sein. «Er beherrschte die Sprache der Liebe meisterhaft. Doch sobald den Worten Taten folgen, verlässt ihn sein Feingefühl», schrieb Bienenfeld später in ihren Memoiren.
Eine dieser jungen Frauen, die in dem Leben der Beauvoir einebedeutende Rolle gespielt hat, ist Sylvie Le Bon, die nach dem Tod Sartres im Jahr 1980 zu ihrer Adoptivtochter wurde. Solange sie und Arlette Elkaim-Sartre, eine Algerienfranzösin, die Sartre nach einer Affäre zur Adoptivtochter und Alleinerbin gemacht hat, noch Briefe und Dokumente der Philosophin unter Verschluss halten, wird de Beauvoir topaktuell bleiben - nicht nur als Feministin.