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Sigur Rós Sigur Rós: In der Landschaft des ewigen Eises

Von Steffen Könau 28.11.2002, 10:13

Halle/MZ. - Als alle schon unterwegs waren, kam der Rückruf. Zerknirscht, aber entschieden ließ Jon Thor Birgisson seine Plattenfirma mitteilen, dass seine Band Sigur Rós ein wenig in Verzug geraten sei und deshalb alle Konzerttermine abgesagt werden müssten. "Es tut uns leid, aber wir müssen hier fertig werden", hieß es auf der Internetseite des isländischen Quartetts, dessen zeitlupenhaft rockendes Debüt "Agaetis Byrjun" vor drei Jahren Kritiker und Konsumenten gleichermaßen in seinen Bann geschlagen hatte.

Eine Tatsache, die die vier Nordländer kaum beeindruckt zu haben scheint. Der Nachfolger des Sensationserfolges, kryptisch "()" geheißen, entfaltet vom ersten knackenden Geräusch eines einrastenden Steckers den schwelgerischen Zauber eines Gletscher-Picknicks. Tastend bewegen sich Gitarren und Orgeln vorwärts, Schlagzeuger Orri Dyrason klopft wie in Trance, Sänger Jon Thor Birgisson klingt wie ein Anti-Elvis aus dem Elfenland: Mit schüchtern zusammengepressten Kiefern fängt er Töne aus den höchsten Höhen, formt und walzt er Silben, Verse, Worte, dass es schallt wie klassische Chöre und gregorianische Mönche in einem.

Mit Popmusik hatten Sigur Rós schon vor "()" soviel zu tun wie Tarzan mit Völkerkunde. Statt der Weltsprache Englisch artikulierten sie ein selbstkreiertes Idiom namens Hopelandish und illustrierten mit ganzen Alben schweigsame Nachtprogramm-Filme. Mit dem neuen Werk aber wird Autismus endgültig Prinzip: "()" hat sowenig einen Namen wie die acht Lieder, das Booklet enthält keinerlei Erklärung. Was hier sprechen soll, ist die Wucht einer orchestralen Offenbarung, die einsam steht wie eine Kathedrale im Winterwald. Zwischen Flüstern und Schreien, Moll und Dur breitet sich eine atemberaubende Landschaft aus berückenden und bedrückenden Klängen aus. "()" macht viele, viele andere CDs überflüssig: Ganz ohne Zweifel ist dies das Album dieses trüben, traurigen Jahres.