Sigourney Weaver Sigourney Weaver: «Wir sind alle Erdlinge»

Halle (Saale)/MZ. - So sehr sie das Reisen liebe: "Ich bin eine leidenschaftliche New Yorkerin", sagt Sigourney Weaver irgendwann während des Gesprächs. Und tatsächlich hört man ihr immer wieder an, dass sie Manhattan seit ihrer Geburt nie lange verlassen hat. Allein ihr "Yeah", das schon fast wie ein deutsches "Ja" klingt! Heute lebt die Schauspielerin, die seit den 80er Jahren dank Klassikern wie "Alien", "Ghostbusters" und "Gorillas im Nebel" unantastbar zur Spitzenliga Hollywoods zählt, immer noch in New York - seit dem Auszug ihrer 22-jährigen Tochter Charlotte nur noch mit ihrem Gatten, Theaterregisseur Jim Simpson. Doch der 62-jährigen Weaver, deren Alter man ihr auch in den aktuellen Actionrollen nie ansieht und die gerade vom Skiurlaub aus der Schweiz zurückkommt, wird trotzdem nicht so schnell langweilig: Neben der Filmerei betreibt sie mit ihrem Mann und anderen Kollegen das Off-Off-Broadway-Theater "The Flea", engagiert sich als Wahlkämpferin für die Demokraten und als Umweltschützerin für die Stiftung von Gorilla-Schützerin Dian Fossey. In letzterem Job sprach sie 2006 sogar schon vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen.
Das Gespräch führte Steven Geyer.
Mrs. Weaver, Sie haben in Ihren Filmen immer wieder starke, kampferprobte Frauen gespielt ...
Weaver: Finden Sie?
Zuerst waren Sie die um sich schießende Monster-Jägerin in den "Alien"-Filmen, danach spielten Sie die sehr selbstbewusste Primatenforscherin Dian Fossey, zuletzt die kämpferische Außerirdischen-Versteherin in "Avatar". Und in Ihrem neuen Film geben Sie nun eine CIA-Agentin, die sehr dominant, teils herrisch auftritt. Was reizt Sie an diesem Frauen-Typus?
Weaver: Keine dieser Rollen gleicht der anderen. Im neuen Film bin ich beispielsweise zum ersten Mal eine Art Bösewicht. Trotzdem gefällt es mir nicht, wenn Sie die Figur so abschätzig als "herrisch" bezeichnen.
Ich meinte damit, dass diese Figur sehr maskulin auftritt und alle anderen herumkommandiert, zu ihrem eigenen Vorteil. Ohne Rücksicht auf Verluste.
Weaver: Und Sie meinen, nur weil es eine Frau ist, die die Chefrolle übernimmt und sagt, wo es langgeht, ist das problematisch?
Das meinte ich nicht. Ich habe lediglich gesagt, dass das Verhalten dieser Frau eher tough und maskulin wirkt.
Weaver: Ich habe eher das Gefühl, dass die Rollen, die ich spiele, das heutige Frauenbild reflektieren. Frauen rücken immer öfter in Positionen mit Autorität auf - und das haben sie auch verdient. Sie tragen oft mehr Verantwortung als Männer. Sie sind der Anker ihrer Familie, haben zugleich verantwortungsvolle Jobs und engagieren sich für ihr Umfeld. Hollywood reduziert weibliche Figuren immer noch viel zu oft auf die Liebhaberin oder die brave Ehefrau. Dabei sollte es in unserer heutigen Welt doch keine Besonderheit mehr sein, dass Frauen auf Chefposten sitzen. Ich finde sogar, Frauen sind sehr gute Chefs. Auf ihre ganz eigene Art.
Und doch wurden Sie selbst gerade deshalb zur ersten weiblichen Action-Heldin der Filmgeschichte, weil Sie in den "Alien"-Filmen als durchtrainierte und waffengewaltige, später sogar kahlgeschorene Kämpferin aufräumten. Mussten Sie die Verhaltensweisen der männlichen Helden übernehmen, um in diesem Genre reüssieren zu können?
Weaver: Das sehe ich anders. Sicher, als Ellen Ripley war ich die hartgesottene Ein-Mann-Armee, die in verschwitzter Unterwäsche Aliens niedermetzelt. Zunächst einmal: Ich finde, dass auch Frauen im Film die gleichen Rechte wie Männer haben sollten. Auch sie sollten losballern und Gegner umlegen dürfen - wie ihre männlichen Kollegen. Wir können auch nach den Regeln der Männerwelt gewinnen! Vor dem Spiel immer erst die Regeln ändern zu wollen, hat schließlich Generationen von Frauen ihren Anteil an der Macht gekostet. Man muss erst mal ins Spiel kommen - dann können sie die Regeln ändern. Aber bei genauerer Betrachtung meiner Filme wird Ihnen nicht entgangen sein, dass beispielsweise Ripley die Aliens am Ende immer nur dank ihrer Intelligenz besiegt. Und sogar die Schurkin, die ich in meinem neuen Film spiele, hat große diplomatische Fähigkeiten.
Sind Frauen letztlich also erfolgreicher, wenn sie anders führen als Männer?
Weaver: Ja, sie sind auf andere Art gut darin, Macht auszuüben. Ihre Stärke ist, beharrlicher, pragmatischer und praktischer zu sein. Sehen Sie sich nur Ihre fabelhafte Kanzlerin Angela Merkel an! Sie ist eine der beeindruckendsten Frauen der Welt und hat, wie ich finde, auf ruhige, aber unbeirrte Weise große Leistungen vollbracht. Sehr viele Amerikaner bewundern und schätzen Frau Merkel.
Was Sie ruhig und unbeirrt nennen, wird Merkel in Deutschland oft als Mangel an Führungsstärke und an politischen Visionen angekreidet.
Weaver: Das mag daran liegen, dass Sie eine andere Perspektive auf Ihre Kanzlerin haben als ich. Für mich ist Merkel ein positives Beispiel für eine Frau in einer Top-Führungsposition. In dem Sinne, dass wir weniger Getöse machen. Wir krempeln einfach die Ärmel hoch und machen uns an die Arbeit. Ich weiß wovon ich rede: Ich habe mich für eine kommende Film-Rolle als Politikerin sehr intensiv mit Angela Merkel beschäftigt, und sie scheint mir das perfekte Beispiel dafür zu sein.
Diese kommende Rolle werden Sie in einer aufwändigen, hochkarätig besetzten TV-Serie spielen: In "Political Animals" sind Sie eine Frau Anfang 60, die aus einer politischen Familie kommt und nach einer Ehekrise zur US-Außenministerin wird - kurz: eine fiktionalisierte Hillary Clinton.
Weaver: Das mag auf den ersten Blick so wirken. Aber sobald sich die Handlung entwickelt, ist meine Figur Elaine Barrish überhaupt nicht mehr wie Hillary. Es stimmt, dass die Schreiber und Produzenten die Lebens- und Karriereumstände der Clintons als Ausgangspunkt genommen haben. Aber dann widmet sich die Serie nur noch dem Ziel, diese spezielle Frau zu porträtieren. Eine starke, aber warmherzige Politikerin, die ganz anders ist als Hillary. Weil sie eben nicht daran interessiert ist, Präsidentin zu werden. Sie will, na ja, die Welt auf ihre Weise zum Besseren verändern. Außerdem hat sie sich von Ihrem Mann, der sie betrogen hat, scheiden lassen.
Das klingt, als hätten Sie sich diesen Schritt auch von Hillary Clinton gewünscht.
Weaver: Nein, das maße ich mir nicht an. Ich kenne Hillary nicht persönlich, ich habe sie nie getroffen. Ich bin nur eine ihrer Bewunderinnen, von denen sie unter uns Frauen sehr, sehr viele hat.
Hillary Clinton und Sie sind etwa gleich alt, Sie kommen aus ähnlichen Verhältnissen. Clinton vertrat die New Yorker jahrelang im US-Senat. Haben Sie es bedauert, dass sie vor vier Jahren nicht die demokratische Präsidentschaftskandidatin wurde?
Weaver: Nein. Ich halte sie für eine sehr fähige Politikerin. Sie war eine wundervolle Senatorin für New York, jetzt ist sie eine hervorragende Außenministerin. Wir hatten vor vier Jahren einfach großes Glück, zwei so hochkarätige Kandidaten zu haben. Hillary hat für die Obama-Regierung Großes geleistet.
Aber Präsidentin ist sie nicht geworden. Haben es Frauen in der Politik deshalb schwerer, weil es eher um Machtspiele als um pragmatisches Anpacken geht?
Weaver: Vielleicht. Das Hauptproblem besteht aber eher darin, dass es immer noch zu wenige Frauen in der Politik gibt. Auch, weil noch immer zu wenige auf ein Amt kandidieren. Aber ich bin mir sicher, dass sich das gerade ändert.
In diesem Jahr suchen die Republikaner einen Präsidentschafts-Kandidaten. Auch da hatten potenzielle weibliche Bewerberinnen wie Sarah Palin und Michelle Bachman keine Chance. Beide beklagen sich nun, im Wahlkampf herablassend und sexistisch behandelt und als dumm dargestellt worden zu sein. Zu Recht?
Weaver: Ich weiß nicht. Ich weiß nur, dass ich für keine der beiden Kandidatinnen gestimmt hätte. Und das sehen viele Frauen in den USA so: Palins und Bachmans Ansichten sind extrem konservativ, gerade wir Frauen sind davon nicht sehr beeindruckt. Mehr möchte ich dazu eigentlich gar nicht sagen.
Mrs. Weaver, neben "Cold Day of Light" kommen in diesem Jahr gleich vier weitere Filme mit Ihnen ins Kino. 2011 waren Sie ebenfalls in vier Filmen zu sehen . . .
Weaver: Tatsächlich? Ich habe die Zahlen gar nicht im Kopf. Aber es stimmt: Ich bin in diesem Jahr gut beschäftigt: Nach "Political Animals" werde ich wieder im New Yorker "Flea"-Theater spielen und dann stehe ich auch schon für Teil 2 und Teil 3 von "Avatar" vor der Kamera.
Sie arbeiten heute mehr als früher. Was treibt Sie dabei an?
Weaver: Die Filme sind alle sehr unterschiedlich, in einigen spiele ich nur Nebenrollen. Gerade das macht mir besonders viel Spaß: für drei Wochen einzusteigen und dann wieder in mein normales Leben zurückzukehren. Einer der Gründe für meine ansteigenden Aktivitäten war sicher auch, dass meine Tochter jetzt aufs College geht. So konnte ich plötzlich alle Arbeit annehmen, die ich wollte. Ich hatte nicht mehr das Gefühl, zu Hause sein zu müssen.
Viele Kolleginnen in Ihrem Alter, Meryl Streep beispielsweise, klagen, dass Hollywood für Schauspielerinnen über 50 kaum noch Rollen anbiete und sie deshalb aufs Fernsehen ausweichen müssten.
Weaver: Ganz sicher wird die Auswahl an interessanten Angeboten zunehmend kleiner, wenn eine Frau älter wird. Aber das Fernsehen ist für mich kein Ausweichen, sondern eine großartige Alternative. Dort gibt es seit einigen Jahren die interessantesten Drehbücher überhaupt. Ich zum Beispiel habe mehrere Kinofilme abgelehnt, um die Fernsehserie "Political Animals" zu machen.
Warum?
Weaver: Weil ich ein so gutes Drehbuch ewig nicht mehr gelesen hatte. Das Kabelfernsehen ermöglicht durch diese aufwändigen Serien erst wieder die lange Form, in der sich Charaktere und Geschichten entfalten können. Im Kino gibt es nur noch Blockbuster, Comic-Verfilmungen oder kleine Filme für Liebhaber - aber keine Erzählfilme. Diese Lücke füllt das Fernsehen aus. Für viele Schauspielerinnen in meinem Alter sind TV-Projekte daher so, als würde einem ein saftiges Steak angeboten. Außerdem sieht man Filme heute ohnehin auf iPads und Computern oder sogar auf iPhones (lacht). Es kommt doch gar nicht mehr darauf an, für welches Medium man spielt. Hauptsache, die Qualität stimmt.
Mrs. Weaver, Sie sind in New York aufgewachsen und haben immer dort gelebt. Sie haben oft erzählt wie Sie sich unmittelbar nach den Anschlägen des 11. September förmlich an Ihre Stadt geklammert haben, sie gar nicht mehr verlassen konnten, nicht mal für Dreharbeiten . . .
Weaver: Ja, die Anschläge haben für lange Zeit das Leben der ganzen Stadt aus der Bahn geworfen, auch meins. Ich war in der Stadt, als die Flugzeuge ins World Trade Center krachten. Ich hatte furchtbare Angst um meine Familie. Ich konnte mir in der Zeit nicht vorstellen, meinen Mann und meine Tochter in der Stadt zurück zu lassen, um irgendwo anders einen Film zu drehen. Deshalb wollte ich eine ganze Zeit lang lieber in New York bleiben.
Andere hatten eher Angst vor weiteren Anschlägen, wollten die Stadt lieber verlassen. Warum wollten Sie bleiben?
Weaver: Weil ich dort geboren bin, weil das die Stadt ist, in der ich mit meiner Familie immer gelebt habe. Ich wollte einfach bei ihnen sein, auch für den Fall, dass es zu weiteren Krisen gekommen wäre. So ging es vielen Amerikanern im ganzen Land. Dieses seltsame Gefühl der Angst, dieses nicht Weggehen können, hat mir Jahre zu schaffen gemacht, es hat erst mit der Zeit langsam nachgelassen. Es war wie ein Ausnahmezustand . . .
Der langsam ausklingt?
Weaver: Jedenfalls hoffe ich, dass wir inzwischen wieder so weit sind, in alle Welt zu reisen - gerade auch in muslimische Länder. Ich war gerade erst in Marokko und habe mich dort als Amerikanerin sehr willkommen gefühlt. Leider scheuen viele meiner Landsleute aus Angst vor fremden Sprachen und überhaupt vor der Fremde vor solchen Reisen zurück. In den USA kursiert diese Vorstellung, Amerikaner seien in der alten Welt unbeliebt. Das habe ich selbst zumindest nie so erlebt.
Aber viele US-Künstler haben diese feindseligen Stimmungen ebenso empfunden, als etwa der Irakkrieg begann und George W. Bush es sich mit der ganzen Welt verdarb.
Weaver: Ich selbst habe es damals nie zu spüren gekommen, wenn ich in Europa war. Man war immer herzlich zu mir. Ich glaube auch nicht, dass die Menschen den Bürgern eines Landes die Schuld an den Taten seines durchgeknallten Präsidenten geben. Letztlich sind wir doch alle nur Erdlinge - und als Erdlinge sollten wir miteinander auskommen, egal wo wir gerade sind.