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Sigmund-Freud-Ausstellung Sigmund-Freud-Ausstellung: Die Couch in der Altmark

Von Andreas Montag 07.06.2001, 14:31

Uchtspringe/MZ. - Doch nun gibt es die Ausstellung zu FreudsLebensstationen in Uchtspringe, die ersteumfassende in Deutschland überhaupt, wie dieVeranstalter stolz betonen. Eine kleine, feineSchau mit Autographen, antiken Kunstgegenständenaus Freuds Besitz und der berühmten analytischenCouch des Meisters samt Smyrna-Teppich, dersie seit 1890 bedeckt. Auch die Kieferprothesedes krebskranken Sigmund Freud ist als ehergruseliges Accessoire dabei. Am 1. Juni istdie Schau eröffnet worden, das Freudestrahlenist allgemein: Kultus-Staatssekretär BodoRichter überbringt Grüße aus der Landeshauptstadt,Volkmar Lischka spricht über Höhen, aber auchTiefen der Krankenhaus-Geschichte. Lischkahebt zugleich jene hervor, die sich nichtunterwarfen, sondern sich "kraftvoll und mutigfür die Psychiatrie engagierten". Womit glücklichauch ein Bogen zur Ausstellung geschlagenwäre. Uchtspringe war zu DDR-Zeiten, namentlichunter der fünfundzwanzigjährigen, verdienstvollenLeitung von Professor Harro Wendt, weitgehendunbemerkt und unberührt von staatlicher Restriktionein "Wallfahrtsort" für Anhänger der von Freudbegründeten Psychoanalyse geworden, hat ProfessorChristfried Tögel, der Leiter des Sigmund-Freud-Zentrumsam Uchtspringer Krankenhaus, notiert.

Daswar nicht immer so, erzählt er: 1907 mussteC. G. Jung, damals noch treu an Freuds Seite,seinem Meister Schreckliches von einem Kongressin Amsterdam berichten, bei dem der Begründerder Uchtspringer Klinik, Professor Alt, gegendie Psychoanalyse gewettert hatte. Dass mandie Spurensuche nach Freud in Uchtspringedurchaus mit einem kleinen Augenzwinkern betreibt,ist sympathisch. Sonst wüchse sich jene Bahnfahrt,die Freud 1908 von London nach Berlin überWolfsburg, Gardelegen und eben auch Uchtspringeführte, womöglich zur Stifterlegende aus.Darum geht es keineswegs. Warum aber sinddie berühmte Couch, Freuds Mantel und Ehering,warum sind die Briefe und Fotos von Londondann ausgerechnet in diesen, pardon, altmärkischenFlecken gekommen?

Die Antwort ist verblüffend einfach: Das LondonerSigmund-Freud-Museum, sagt dessen ForschungsdirektorMichael Molnar, ist eigentlich ein Museumder Emigration. Die Sammlung hat mit einerReise, der Flucht Freuds vor der Nazis ausWien im Jahr 1938, begonnen. Weshalb, fragtMolnar, sollte man also die Objekte nichtauch in der ganzen Welt zeigen? Nach Freud-Expositionenin Washington, Wien, Los Angeles oder Riode Janeiro ist nun also Uchtspringe an derReihe - gewiss auch dank persönlicher Bemühungenvon Christfried Tögel. Die sehenswerte Schauwird noch bis zum Ende des Monats gezeigt.

Einmalig indes war der Eröffnungs-Vortragvon Anton Walter Freud, einem 80-jährigenEnkel Sigmund Freuds, ältester Sohn von dessenältestem Sohn Jean Martin. In zutiefst berührender,ganz und gar unpathetischer, ja, sogar humorvollerWeise sprach der alte Herr über seinen 1939in London verstorbenen Großvater, dem er,A. W. Freud, wie zahlreiche Familienangehörigeins Exil nach England gefolgt war. 1994 ister seitdem erstmals wieder in Wien gewesen,nun hat er auch Deutschland besucht. SeineRede ist zugleich ein Zeugnis der Vertreibung und Vernichtungder Juden. So berichtet A. W. Freud, bei einemder sonntäglichen Besuche bei den Großelterneine Dame, einen jüdischen Flüchtling ausDeutschland, getroffen zu haben, die angesichtseines Trupps österreichischer Soldaten sagte:"Aber unsere SA marschiert besser!"

Das, so A. W. Freud sarkastisch, "istein gutes Beispiel, wie deutsch sich die deutschenJuden gefühlt hatten." Der 1921 Geborene,der mehrere Verwandte in den Vernichtungslagernder Nazis verlor, sagt, sein Großvater habeÖsterreich, seine Heimat, nur unwillig verlassen:"Nicht einmal der Autor der ,Traumdeutung?konnte es sich träumen lassen, was dort einmalgeschehen würde!"

Die Schau ist täglich von 10 bis 17 Uhr geöffnet, derKatalog kostet zehn Mark.