1. MZ.de
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. Sibylle Berg: Sibylle Berg: «Man hat mich nicht gefragt»

Sibylle Berg Sibylle Berg: «Man hat mich nicht gefragt»

Von Christian Eger 21.11.2006, 18:25

Berlin/MZ. - Das war ein Kunststück in den Jahren der Ostalgie-Erregung. "Man hat mich nicht gefragt", sagt die 44-Jährige. "Ich galt als eine sich selbst inszenierende Kapitalisten-Bitch." Als Literaturmarktfrau, mit allen Westwassern gewaschen.

Die gelernte Puppenspielerin, die eine Leidenschaft für das pointiert tragikomische Erzählen pflegt, zieht ihrerseits die pointiert tragikomischen Etiketten an: Rosamunde Pilcher des Pessimismus, Großmutter der Popliteratur. Das ist knallender Unsinn. Sibylle Berg, die 1997 mit dem Roman "Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot" debütierte, gehört zu den Einzelgängerinnen der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur.

Ihre Prosa bietet viel Lakonie und Drastik, Poesie und Witz, getragen von einer starken Kinder-, Kunst- und Kommandosprache. Die seit 1995 in Zürich lebende - und neuerdings verheiratete- Schriftstellerin ist eine Autorin von seltener sittlicher Klarheit. Sie hat Begriffe von den Dingen und Menschen. Sie zeigt die Welt aus dem Blick der Vereinzelten. Der Randständigkeit, die keine fröhliche ist. Die aber Distanz schafft, Humor und Spiel.

Dieser Tage hat Sibylle Berg bei Kiepenheuer & Witsch ein Buch vorgelegt, das erstaunt: "Habe ich dir eigentlich schon erzählt..." (MZ vom 11.11.) Wie der Untertitel verspricht: "Ein Märchen für alle". Ein poetischer Pubertätsroman: Zwei fast 14-Jährige, Anna und Max, verlassen ihre Familien, ihre Stadt, deren Staat. Die Stadt liegt im Thüringischen, der Staat ist die DDR.

Sibylle Berg trägt Schwarz. Eine feingliedrige Schöne, das rote Haar zu einem kleinen Dutt geknotet. Ein Gespräch über den Osten in einem Café der Berliner Mitte. "Ich lebe ja relativ weit weg vom Deutschen Reich", sagt die Wahl-Schweizerin. Die Ostalgie-Welle rollte an ihr vorbei. Jana Hensels "Zonenkinder"-Buch aber hat sie gelesen. "Belanglos. Ärgerlich. Keine Idee. So anheimelnd war die DDR? Na, danke." Das Kinomärchen "Good Bye, Lenin" hat sie gesehen. "Niedlich und harmlos. Wie eine Packung Hallorenkugeln."

Was gut war am Osten, sagt sie, war nur aus Versehen gut. "Weil man Arbeitskräfte brauchte, hatte jeder Arbeit. Gleichberechtigung war die Folge, immerhin." Und ein paar "romantische Sachen": "Aufgeweckte junge Leute, die viel gelesen haben." Aber sonst? Die DDR, das war für Sibylle Berg Tristesse, Zwang und Ausgrenzung. "Die Deutschen sind ja kein mörderisch solidarisches Völkchen."

Weimar erlebt das Mädchen, das sie war - "ein Loser, so'n bisschen mit Dachschaden" - als ein graues, reaktionäres Nest. Sibylle Berg wächst ohne Vater auf; die Mutter, eine Alkoholikerin, nimmt sich das Leben. Ein Kind am Rand. Nach dem Abitur geht Sibylle Berg ans Puppentheater Naumburg. Drei Jahre arbeitet sie mit Stabpuppen und Marionetten. Kaum hat sie den Ausreiseantrag gestellt, wird sie von der Theaterchefin vor die Tür gesetzt. So viel zum Thema Solidarität. DDR-Literatur? "Ich habe gelesen, was alle lasen. Bulgakow, Maxie Wander, Dürrenmatt, nicht Frisch." Keine Christa Wolf. Biermann? "Der ist doch 300 Jahr alt." Wer dann? "Der große ostdeutsche Philosoph Schopenhauer hat mir das Leben gerettet." Er habe ihr gezeigt, dass das Außenseiter-Dasein eine notwendige Übung sei. "Größenwahnsinnige Überheblichkeit."

Ihren Ausreise nennt sie heute die "legitim feige Form der Flucht", weil ihr harte Repressionen erspart geblieben sind. "Ich musste da weg, musste mein Leben retten." In nur vier Monaten wird ihr Antrag bestätigt; der Westen hatte gerade einen Schwung Ostler aufgekauft. "Es hätten auch fünf Jahre werden können." Sibylle Berg hat Glück.

"Ein Stasi-Mitarbeiter setzte mich in den Zug nach Berlin, wo ich genau eine Viertelstunde Zeit hatte, das Land zu verlassen." Ein Bändchen Schopenhauer-Aphorismen trägt sie im Rucksack, als sie im Auffanglager Marienfelde landet. Und einen Wecker. Wie bitte? Ja, sagt sie führt die flache Hand an die Schläfe: "Ich dachte, im Kapitalismus müsse man auf Zack sein."

Warum die DDR als Erzählort des neuen Buches? "Hätte ich Kinder, wären sie heute 13, 14 Jahre alt. Denen würde ich zeigen, wie es gewesen wäre, wenn ich einen Freund gehabt hätte. Wenn ich mutiger gewesen wäre. Ich habe nicht die Phantasie, um mir einen Harry Potter auszudenken." Sind Sie eine Moralistin, Frau Berg? Absolut. Woher rührt das? "Klugscheißertum? Weltverbesserertum? Ich dachte tatsächlich einmal, die Welt verbessern zu müssen." Ach, Sie hatten einen Plan? Erstaunt Sie das? Ja. Welche Aktionspunkte hätte Ihr Weltverbesserungsplan heute? "Gleichberechtigung. Reichtum für alle. Demokratie." Sibylle Berg betont Aussage- wie Fragesätze.