Sensationsfund Sensationsfund: Der Mahlzahn macht's
Köln - Was den Menschen ausmacht? Das Gebiss. Genauer gesagt, der dritte Mahlzahn. Der erscheint erst im Erwachsenenalter, und wird deshalb, mit menschentypischer Selbstüberschätzung, Weisheitszahn genannt. Als der äthiopische Anthropologie-Student Chalachew Seyoum am Grabungsort Ledi-Geraru – in der Afar-Region seines Heimatlandes – die linke Hälfte eines Unterkiefers entdeckte, wusste er deshalb sofort, dass ihm ein wichtiger Fund gelungen war.
Das nur acht Zentimeter lange Knochenstück enthält Eckzahn, die beiden so genannten Prämolare und drei Mahlzähne. Sein Besitzer muss zur Gattung Homo gehört haben, deren letzter überlebender Zweig der seit rund 200 000 Jahren existierende moderne Mensch, der Homo sapiens, ist.
Mit Hilfe von Röntgentechnik haben US-Forscher das Fossil auf ein Alter von 2,75 bis 2,8 Millionen Jahre datiert. Am Mittwoch stellten sie ihr Ergebnis in der Fachzeitschrift „Science“ vor. Es ist eine Sensation. 2,4 Millionen Jahre lautete bislang die Antwort, auf die Frage, seit wann der Mensch Mensch ist. Ein Kieferfragment aus Tansania ebendieses Alters galt bislang als frühester Beleg für die Gattung Homo, nach weiteren Knochenfunden Homo habilis getauft. Nun hat sich das Datum der Menschwerdung mit Seyoums Fund um 400 000 Jahre nach hinten verschoben. Das ist mehr als nur eine kleine Korrektur. „Es ist das erste Fossil, das wir auf dem Zweig haben, der zu uns führt“, sagt Brian Villmoare von der University of Nevada, Hauptautor des „Science“-Artikels.
Wiederum 400 000 Jahre zuvor lebte noch der affenähnliche Australopithecus afarensis in der gleichen Region des heutigen Äthiopien, dessen bekannteste Vertreterin, das 1974 entdeckte Teilskelett namens „Lucy“ ist. Der neu entdeckte Unterkiefer ist nach Meinung der Forscher ein Bindeglied zwischen Lucy und Homo habilis, ein Beweisstück der Menschwerdung.
Am selben Tag, an dem „Science“ den spektakulären Fossilfund verkündete, erschien in der Konkurrenz-Veröffentlichung „Nature“ ein Aufsatz des am Leipziger Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie forschenden Fred Spoor. Der hatte mit Hilfe von 1,8 Millionen Jahre alten in Tansania gefundenen Schädelresten und eines bildgebenden Verfahrens das Aussehen des Homo habilis rekonstruiert. Dessen Zähne und Kiefer, fand Spoor heraus, ähnelte eher dem Australopithecus afarensis als dem Gebiss heutiger Menschen. Oder dem des ausgestorbenen Homo erectus, dessen ersten Exemplare vor rund zwei Millionen Jahren auftauchen und der mindestens eine Million Jahre lang gemeinsam mit dem Homo habilis die Erde bevölkerte.
Ökologische Nische für die frühen Menschen
Der kleine Unterschied zwischen Affe und Mensch könnte dem Klimawandel geschuldet sein. Vor etwa 2,8 Millionen Jahren – also just zu der Zeit als der Besitzer des neu entdeckten Unterkiefers lebte – wurde es deutlich trockener in Ostafrika, die einst üppigen Wälder wurden durch Savannen ersetzt. Sie bildeten die ökologische Nische der frühen Menschen, die bald anfingen, Werkzeuge zu benutzen (die frühesten Werkzeugfunde datieren auf rund 2,6 Millionen Jahre), woraufhin die Kiefer nach und nach schrumpften und das Gehirnvolumen wuchs.
Wahrscheinlich verbirgt die Afar-Region noch viele menschliche Fossilien. Jede von ihnen ist ein Missing Link in der langen, langsamen Geschichte der Menschwerdung. (mit dpa, afp)