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Sebastian Barry: Leben Zwischen IRA und Regierung

Von Konrad Dittrich 12.08.2009, 15:00

Göttingen/dpa. - Ins Irland des Jahres 1922 entführt Sebastian Barry die Leser seines neuen Romans «Ein verborgenes Leben». Im Bürgerkrieg kämpfen Iren, die sich mit der Teilung arrangiert haben, gegen Iren, die wie die IRA die Abtretung der Nordprovinzen nicht hinnehmen wollen.

Solche Ankündigungen lassen einen hochpolitischen Roman erwarten. Den aber schrieb der Ire Sebastian Barry nicht. Die Zeitumstände dienen ihm lediglich als Hintergrund für ein packend erzähltes Frauenschicksal, das in Irlands Geschichte begründet ist.

Roseanne McNulty, eine fast Hundertjährige, seit Jahrzehnten in einer Anstalt für Geisteskranke weggeschlossen, findet einen Stapel leerer Blätter und beginnt, ihr Leben nachzuzeichnen. Da sie nicht will, dass man ihr die Erinnerungen stiehlt, versteckt sie die Blätter unter einer losen Diele ihres tristen Zimmers.

Das Heim, eine einsturzgefährdete Bruchbude, soll abgerissen werden. Der geplante Neubau fällt klein aus. Deshalb wird der Anstaltspsychiater damit beauftragt, die Patienten zu begutachten. Möglichst viele sollen ins Leben entlassen werden, um Kosten zu sparen. Damit beginnt eine Reihe von Besuchen und Gesprächen zwischen Roseanne und dem Psychiater Dr. Grene. Auch der rechtfertigt sein Leben durch private Aufzeichnungen. Mehr und mehr vertieft er sich in die Tragödie der alten Dame und spürt deren Aussagen nach.

Die junge Protestantin, die noch im Mädchenalter aufgrund der politischen Umstände den Vater verliert, bekommt in der katholischen Kleinstadt kein Bein auf die Erde. Ihre Ehe wird von der Kirche annulliert. Ein Kind wird ihr fortgenommen, ehe sie es überhaupt richtig gesehen hat. Vielleicht hat sie es sogar umgebracht? Gerüchte werden gezielt gestreut.

Der Leser kann über 380 Seiten am Leben der alten Frau Anteil nehmen und sich für ihr Schicksal erwärmem. Die alte Dame, die von der Gesellschaft für verrückt erklärt worden war, schreibt in einer einfachen, aber wunderbar bildkräftigen Sprache, weshalb der Leser das Geschehen mit Anteilnahme verfolgen kann. Nur das unerwartete Ende ist eine Schwachstelle des Romans.

Sebastian Barry, 1955 in Dublin geboren, wurde für seinen jetzt in deutscher Übersetzung vorliegenden Roman in London mit einem Literaturpreis ausgezeichnet. Vor wenigen Wochen wurde das Buch in der Heimat des Autors zum besten irischen Roman des vergangenen Jahres gekürt.

(Steidl Verlag Göttingen, 392 S., Euro 19,90, ISBN 978-3-86521-967-1)