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Schwedische Akademie Schwedische Akademie: Literaturnobelpreis geht an Swetlana Alexijewitsch

Von Cornelia Geißler 08.10.2015, 11:04
Die weißrussische Autorin und Regimekritikerin Swetlana Alexijewitsch hat den Literaturnobelpreis 2015 gewonnen.
Die weißrussische Autorin und Regimekritikerin Swetlana Alexijewitsch hat den Literaturnobelpreis 2015 gewonnen. dpa Lizenz

Stockholm - „Für ihr vielstimmiges Werk, das dem Leiden und dem Mut in unserer Zeit ein Denkmal setzt“, bekommt die weißrussische Autorin Swetlana Alexijewitsch (67) in diesem Jahr den Literaturnobelpreis. Das gab die Schwedische Akademie am Donnerstag in Stockholm bekannt. Alexijewitsch ist erst die 14. Frau, die die Auszeichnung gewinnt, die als wichtigster Literaturpreis der Welt gilt.

Deutschen Lesern ist Swetlana Alexijewitsch bekannt geworden durch das Buch "Der Krieg hat kein weibliches Gesicht", das später auch auf die Theaterbühnen fand. Dafür hatte sie etliche Interviews mit Frauen geführt, die im Zweiten Weltkrieg als Soldatinnen, Sanitäterinnen, Pilotinnen und Partisaninnen zum Einsatz kamen, auch mit Frauen, die im Hinterland die Front unterstützten, alle zwischen 15 und 20.

Der Große Vaterländische Krieg, wie er in der Sowjetunion genannt wurde, verlor seinen Heldenglanz, denn Alexijewitsch zeigte die Qualen der Frauen in einem männlichen System. Das klug die Gespräche verbindende Buch konnte erst mit der Perestroika 1985 erscheinen, auch damals noch von der Zensur um schmerzhafte Details gekürzt. Inzwischen liegt es vollständig vor.

Krieg gegen das eigene Volk

Swetlana Alexijewitsch wurde 1948 in Iwano-Frankiwsk in der Ukraine als Tochter einer Ukrainerin und eines Weißrussen geboren. Sie hat in Minsk Journalistik studiert und bald als Reporterin gearbeitet. Der Krieg wurde früh ihr Thema - und ließ sie zur Pazifistin werden. Dem Buch über die Frauen folgte eines über die Kinder im Weltkrieg: "Die letzten Zeugen". In "Zinkjungen" danach beschäftigte sie sich mit den Auswirkungen der sowjetischen Besetzung Afghanistans.

Als nicht weit von ihrem Wohnort Minsk das Atomkraftwerk von Tschernobyl sein radioaktives Material in die Umgebung katapultierte, nahm Alexijewitsch die Politik Moskaus auch als Krieg gegen die eigene Bevölkerung wahr. Mit dem Anspruch der Reporterin befragte sie Männer, die aufräumen mussten nach dem Gau, interviewte Frauen, die ihre Männer verloren, sprach mit Bauern und Ärzten, mit so vielen, die das Gift im Körper trugen.

Mit der Stilsicherheit einer Schriftstellerin webte sie daraus ein Geflecht des Schreckens: 1997 erschien ihr Buch "Tschernobyl. Eine Chronik der Zukunft". "Etwas ist geschehen, wofür wir noch kein System von Vorstellungen, noch keine Erfahrungen haben, wofür nicht einmal unser bisheriger Wortschatz reicht", schrieb sie dazu.

Als sie im Jahr darauf den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung erhielt, sagte sie, sie versuche aus "tausend Stimmen, Episoden unseres Alltags und Daseins, aus Worten und aus dem, was sich hinter ihnen und zwischen den Zeilen verbirgt" Was Walter Kempowski mit dem "Echolot" rückblickend probierte, indem er Dokumente zusammentrug, gelingt Swetlana Alexijewitsch für die Gegenwart durch Recherche. Sie sammelt nicht auf, was da ist, sie bringt die zum Sprechen, die sonst keiner fragt.