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Schriftsteller Reiner Kunze Schriftsteller Reiner Kunze: Kein Haus von Strauß

Von christian eger 27.12.2015, 19:18
Reiner Kunze im Mai 2015 bei der Verleihung des Strauß-Preises
Reiner Kunze im Mai 2015 bei der Verleihung des Strauß-Preises dpa Lizenz

halle (Saale) - Als der Schriftsteller Reiner Kunze nach zahllosen politischen Schikanen und Drohungen im April 1977 aus der DDR in die Bundesrepublik ausreisen durfte, gelangte der damals 43-Jährige zwar in die persönliche und berufliche Freiheit - im Hinblick auf das seinerzeit tonangebende linke literarische Milieu aber vom Regen in die Traufe.

Im Osten war der einzelgängerische Autor des Prosabandes „Die wunderbaren Jahre“ (1976) - der rücksichtslos genauen Schilderung einer Jugend in der DDR - und des Lyrikbandes „Brief mit blauem Siegel“ (1973) - des wohl erfolgreichsten Gedichtbandes in der DDR - politisch ein Verfemter, auch den DDR-kritischen Zirkeln der Partei-loyalen Autorenschaft nicht zugehörig. Im Westen wenig anders: Dort war der 1968 aus der SED ausgetretene und 1976 aus dem Schriftstellerverband ausgeschlossene Dichter nur bedingt ein Willkommener. In den Kreisen, die in der DDR das bessere Deutschland zu entdecken meinten, in dem sie aber keinesfalls leben wollten, störte der Mann aus Greiz. Man nahm ihm einiges übel. Nicht zuletzt, dass er in seinem ersten Fernsehinterview nach der Ausreise erklärt hatte, dass von der DDR aus „kein neuer Anfang für die Menschheit“ zu erwarten sei.

Das war 1977 in der Bundesrepublik durchaus kein Konsens. Unter dem CDU-Motto „Freiheit statt Sozialismus“ hatte das Land einen heißen Wahlkampf hinter sich. Ein Autor, der diese Formel als eine schlichte Wahrheit begriff, stand in der literarischen Arena schnell allein. Gezielt wurde Reiner Kunze, der sich am äußersten südöstlichen Rand Bayerns ansiedelte, als Günstling des schwer umstrittenen CSU-Spitzenpolitikers Franz Josef Strauß diffamiert, was einem Rufmord gleichkam. Im Osten, der die Kampagnen steuerte, trafen solche Worte auf offene Ohren. Dankbar nahmen die DDR-Kollegen etwa die Lüge auf, dass die CSU dem Dichter ein Haus geschenkt hätte. „Es war eben nicht nur eine Stasi-Falle, sondern es war eine, in die wir alle getappt sind“, schrieb im Rückblick der Dichter Uwe Kolbe. „Kunze, den nehmen wir nicht mehr ernst. Das ist natürlich furchtbar. Doch es hat funktioniert.“

Man muss daran erinnern, um zu verstehen, dass die im Mai dieses Jahres in München vorgenommene Verleihung des Franz Josef Strauß-Preises an Reiner Kunze für diesen keine Ehrung unter vielen gewesen sein kann. Das war sie auch nicht, wie die jetzt in einem schmalen Sonderheft der Zeitschrift „europäische Ideen“ veröffentlichte Dankrede des 82-Jährigen belegt, der - wie zuletzt vor ihm Gorbatschow - laut Preisauftrag „für hervorragende Leistungen“ geehrt wurde, in seinem Fall in Politik, Kunst und Kultur.

Sehr ausführlich schildert Kunze, der dem 1988 gestorbenen Franz Josef Strauß nur dreimal und das eher beiläufig begegnet war, das zerstörerische Ineinander von politischer West-Demagogie und DDR-geheimdienstlicher Desinformation, die ihn als angeblichen „Strauß-Intimus“ ereilte. Kinobetreiber lehnten es ab, den 1979 gefertigten Film „Die wunderbaren Jahre“ vorzuführen. Bäume im Garten des Dichters wurden zerstört. Seiner Frau, einer Zahnärztin, wurde nachgesagt, dass diese ihr komplettes Labor samt Mitarbeitern von Strauß erhalten habe.

Kunze hatte damals noch so oft erklären können, dass von all diesen Nachreden nichts stimmte; es half nichts. In seiner Dankrede sagt Kunze nun: „Sind Erlebnisse wie die geschilderten, solange sie einem in der Demokratie widerfahren, mehr oder weniger Lappalien, ist der ideologische Hass, der in ihnen zutage tritt, keine Lappalie. Das zeigt sich in politischen Regimen, in denen diesen Hass nichts mehr in die Schranken weist.“ Das ist eine aktuelle Ansage, denn, sagt Kunze, „blicken wir heute in die Welt, erfasst uns ein Grauen“.

Eines, das aber nicht den kritischen Blick in die eigene Nahvergangenheit verschleiern sollte. Davon spricht Kunze in den dem Heftversammelten drei kleinen Beiträgen und zehn Gedichten. Darunter findet sich auch die kurze Dankrede für den Hohenschönhausen-Preis, dessen Geld der Autor wie das der Strauß-Preis-Ehrung in die Reiner und Elisabeth Kunze-Stiftung steckt, mit der das Wohnhaus des Paares in Obernzell bei Passau zu einer museal-archivarischen „Stätte der Zeitzeugenschaft“ umgestaltet wird. Eine erstaunliche Maßnahme in Zeiten, in denen eine zuverlässige wissenschaftliche Erforschung der DDR den Deutschen eher als eine freiwillige, gern zu vernachlässigende Leistung gilt.

Sonderheft „europäische Ideen“: Reiner Kunze. Reden und Gedichte. London, 12 Seiten, 3 Euro. (mz)

Zu bestellen über: [email protected]