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Schottland-Experte Schottland-Experte: "Unabhängigkeit ist wünschenswert"

12.09.2014, 17:07
Am 18. September stimmen die Schotten über ihre Unabhängigkeit ab.
Am 18. September stimmen die Schotten über ihre Unabhängigkeit ab. dpa Lizenz

Herr Klevenhaus, es gibt nur noch 58.000 Menschen, die Schottisch-Gälisch sprechen, vor allem auf den Hebriden-Inseln, das sind 1,1 Prozent der Bevölkerung. Wie konstituiert sich eine schottische Identität oder ein Nationalgefühl, wenn es über die Sprache nur schwerlich geht?

Michael Klevenhaus: Wir haben es in Schottland mit drei Sprachen zu tun. Mit dem offiziellen Englisch, dann mit Scots, einer Art altertümlichem Englisch, und Gälisch, was mit dem Englischen nichts zu tun hat. Gälisch ist bis zum 13. Jahrhundert in dem gesamten Gebiet des heutigen Schottland gesprochen worden. Wenn Sie sich heute bei einer Wanderung verfransen oder eine offizielle Landkarte aufklappen, sind alle Orts- und Landschaftsnamen auf Gälisch. Das heißt: Die Sprache ist da, auch wenn sie nur von wenigen gesprochen wird, und trägt zur Identität schon wesentlich bei. Was nicht alle Leute schön finden.

Warum das?

Klevenhaus: Die Bewegung, die sagt, Schottland sollte ein rein englischsprachiges Land sein, hat eine lange Tradition. Die ersten Maßnahmen gegen die gälische Sprache wurden schon 1609 ergriffen, kurz nach der „Union of Crowns“, als der schottische König James I. in London auf dem Thron saß. Er wollte von London aus alles zentral steuern und so auch die Schotten unter Kontrolle bringen. So ging das immer weiter bis 1872, als das Gälische aus den Schulen verschwand.

Läuft diese Debatte um die Sprache auch entlang der Konfliktlinien beim bevorstehenden Referendum?

Klevenhaus: Es hat eine lange Diskussion gegeben, ob der offizielle Abstimmungszettel zweisprachig sein soll. Dann hat man sich irgendwann dagegen entschieden, mit der Begründung: Es gibt so viele Leute, die gegen das Gälische eingestellt sind, das kann der Sache der Unabhängigkeit nur schaden.

Michael Klevenhaus ist Lehrbeauftragter für Gälisch-Schottisch an der Bonner Universität und leitet außerdem das Deutsche Zentrum für Gälische Sprache und Kultur in Bonn. (ksta)

In Irland gab es Anfang des 20. Jahrhunderts ein Zusammenspiel aus politischem Unabhängigkeitsstreben und einem breit angelegten Revival der gälischen Sprache und der gälischen Sportarten, auch, um sich kulturell abzugrenzen von England. Das sehe ich in Schottland nicht.

Klevenhaus: In Schottland kämpfte im 19. Jahrhundert die Highland League gegen die Landvertreibungen im Hochland und auf den Inseln. Das war wiederum eng verknüpft mit der Free Church, die den landlosen Bauern zur Seite sprang, und die sprachen eben Gälisch. Aber diese irische Kombination aus Freiheitskampf und gälischer Sprache gab es in Schottland nie.

Die irische Republik hat Irisch wieder als Pflichtfach in den Schulen eingeführt, was vielen gar nicht so behagt. Steht etwas Vergleichbares auf der Agenda der SNP?

Klevenhaus: Man macht es in Schottland etwas anders, weil man genau weiß: Mit Zwang erreicht man eher das Gegenteil. In Irland ist Gälisch zwar die offizielle erste Amtssprache, sie wird aber faktisch von niemandem benutzt, und alle sprechen Englisch. In Schottland ist Gälisch seit 2005 die zweite offizielle Sprache, gleichberechtigt neben dem Englischen. Aber eben ohne dass es einen Zwang gibt, dass alle Gälisch beherrschen müssten. Aber wenn zum Beispiel heute Eltern eine gälischsprachige Schule in ihrer Gegend fordern, müssen die Behörden dieses Angebot bereitstellen.

Hat Sie die „Sunday Times“-Umfrage mit der Mehrheit für die Unabhängigkeit überrascht – oder haben sie diesen Schwung am Ende der Yes-Kampagne erwartet?

Klevenhaus: Damit habe ich gerechnet. Sie müssen sich vorstellen, dass ein ganzes Land über Wochen und Monate, ob an der Bushaltestelle oder bei großen offiziellen Veranstaltungen, über die eigene Zukunft diskutiert. Dieser Debatte kann sich keiner entziehen, und die Yes-Kampagne ist da sehr viel breiter aufgestellt als die No-Kampagne. Sie richtet sich auch nicht gegen England oder die Engländer, sondern allenfalls gegen das Westminster-Establishment.

Wenn man die etwas überhitzte Pfund-Frage einmal ausklammert: Würde sich 2016 in einem unabhängigen Schottland etwas ändern im Alltag der Menschen in Glasgow, Edinburgh und Aberdeen, oder fühlte es sich nur anders an?

Klevenhaus: Es würde sich anders anfühlen. Aber zudem würden momentan in Großbritannien geplante Änderungen nicht stattfinden, und das wäre gut für Schottland. Tories und Liberaldemokraten planen massive Einschnitte im bislang noch kostenlosen Gesundheitssystem, aber die Schotten wollen ihren NHS behalten. Noch ein Beispiel: Das Studium ist in Schottland für Schotten weiterhin umsonst, während Sie in England dafür irrsinnige Summen bezahlen. Und ein Wort zur Währung. Es gibt eine Blaupause, wie man so etwas macht. Bei der Trennung zwischen Tschechien und der Slowakei ist das 1993 relativ lautlos über die Bühne gegangen. Es gibt überhaupt keinen Grund, warum das in Schottland nicht ähnlich geräuschlos vonstattengehen sollte.

Wagen Sie eine Prognose, wie es ausgeht beim Referendum am 18. September?

Klevenhaus: Nein. Aber ich würde mir wünschen, dass es eine klare Mehrheit für die Unabhängigkeit gibt.

Das Gespräch führte Thorsten Keller