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Schloss Zerbst Schloss Zerbst: Gobelins sind digital zum Greifen nah

Von günter kowa 14.05.2013, 21:11
Die Gobelins haben die Zeiten relativ gut überstanden.
Die Gobelins haben die Zeiten relativ gut überstanden. Deutsches Historisches Museum Lizenz

zerbst/berlin/MZ - In einer Halle auf vormals britischem Kasernengelände in Spandau herrscht angestrengte Betriebsamkeit um einen am Boden ausgerollten seidenen Wandteppich von hohem Alter und unübersehbaren Spuren von Abrieb und Verfall. Das Gebäude auf dem doppelt umzäunten, wie ausgestorbenen Areal dient dem Deutschen Historischen Museum (DHM) als Depot. Mehrere wissenschaftliche Mitarbeiter stehen beisammen und beäugen das Kunstgut. Von einem Gerüst macht ein Fotograf Aufnahmen der Teppiche im Streulicht und senkrecht von oben. Eine Restauratorin untersucht das brüchige Gewebe.

Eingeschlagen in Schutzhüllen

Die Arbeit wird sich noch tagelang hinziehen. Am Rand liegen riesige Rollen von weiteren, in Schutzhüllen eingeschlagenen Teppichen derselben Machart. Es ist das erste Mal, sagt die Kustodin, dass das Museum die Teppiche in hoch auflösender digitaler Form dokumentiert. Dort, wo sie ursprünglich herkommen, wird diese Nachricht auf noch viel größeres Interesse stoßen, als im Museum selbst.

Es war im Februar 1992, als die Gobelins zum letzten Mal komplett ausgerollt wurden. Zugegen waren seinerzeit dieselbe Restauratorin, Anita Gerlach, sowie ein Gast aus Zerbst, Dirk Herrmann, Historiker, und damals am Beginn der Arbeit zu seinem Standardwerk über das kriegszerstörte Residenzschloss. Es war ein Tag, den die Beteiligten nicht vergessen, denn durch Vergleiche mit historischen Fotos und aufgrund alter Beschreibungen brachte er die Gewissheit, dass die Teppiche aus eben diesem Schloss stammen.

Eine Odyssee war an ihr Ende gekommen. Im Krieg war das kostbare Gut in einem Kalischacht bei Staßfurt in Sicherheit gebracht, dort von den Russen entdeckt und nach Moskau verfrachtet worden. Mit der Teil-Rückgabe der Kriegs-Kunstbeute 1958 an die DDR fanden die Gobelins ihren Weg nach Ost-Berlin, doch im damaligen „Museum für Deutsche Geschichte“ blieb ihre Herkunft unerkannt, obwohl zwei davon restauriert und ausgestellt wurden.

Davon profitierten 1994 aber die Zerbster, die diese und ein schmaleres, unrestauriertes „Füll“-Stück im Heimatmuseum bestaunen durften: Drei von zehn Gobelins Brüsseler Manufaktur von der Mitte des 18. Jahrhunderts mit mythologischen Themen – letzter und brüchiger Abglanz vom Prunk der Zerbster Residenz.

So erwachte in der kriegswunden Stadt das Begehren, diese verlorenen Stücke zurückzugewinnen. Aber es fehlte an allem, an geeigneten Räumen, gewebeschonender Hängetechnik, an Brand- und Diebstahlschutz, und vor allem fehlte das Geld, die verschlissenen Textilarbeiten fachgerecht restaurieren zu lassen.

Aber im Lauf von zehn Jahren ist in Zerbst viel geschehen. Mit Dirk Herrmann im Vorstand gelang es dem mitgliederstarken Förderverein des Schlosses, die Ruine des einzig verbliebenen Ostflügels zu überdachen, innen mit Betondecken räumlich wiederzugewinnen und im Sommer für Veranstaltungen zu nutzen.

Eine kleine Dauerausstellung zur Geschichte des Schlosses zeigt als Clou das virtuell wieder erstandene Dekor eines Saals, mittels wandhoch aufgezogener Schwarzweiß-Fotos aus Vorkriegszeiten. Jetzt, da digital beliebig vergrößerbare Dateien vorliegen, wäre die virtuelle Rückkehr auch der Gobelins denkbar, sogar in Farbe. Es wäre in der Stadt das nachdrücklichste Signal seit langem, dass sie ihr mögliches tun will, die Originale zurückzuerlangen und zugleich das Projekt Schlossflügel-Wiederaufbau voranzutreiben.

Dass das Interesse daran ungebrochen ist, bestätigt auch der neu gewählte Oberbürgermeister Andreas Dittmann. Doch das Thema ist sensibel. Die Recherche zu diesem Artikel stieß beim DHM erst einmal auf Irritation. „Alle zwei Jahre“, stöhnt Sammlungsleiter Dieter Vorsteher-Seiler, „kommt irgendjemand aus Sachsen-Anhalt und will die Gobelins sehen.“

Die zuständige Kustodin Regine Falkenberg blättert durch pralle Aktenordner voller Korrespondenz, die bis heute ergebnislos geblieben ist. „Es sind einfach zu viele Fragen ungeklärt: Wer zahlt die Restaurierungskosten, gibt es in Zerbst Räume, Technik, Sicherheit? Selbst rechtliche Fragen sind offen.“ Aber als unwillig will sie das Museum nicht hinstellen: „Wir sind die letzten, die sich einer Lösung verweigern wollen.“ Und ein paar Wochen später teilt sie den Termin der Fotoaktion mit.

Schlüssel liegt beim Land

Allen ist klar, dass der Schlüssel zu einer Lösung beim Land liegt. „Einmal im Jahr“, sagt Dittmann, „führen wir in Magdeburg Gespräche.“. Das Land bemühe sich, sagt er. Mag sein, aber die Pressestelle des Kultusministeriums erteilt nur dürre Auskünfte. „Momentan besteht keine Möglichkeit einer angemessenen Präsentation der Teppiche. Falls sich daran in Zukunft etwas ändern sollte, werden die Gespräche wieder aufgenommen.“

Kontakt zu einem Fachressort wird verwehrt, und selbst Ministerialdirigent Matthias Puhle, vormals Magdeburger Museumsdirektor im Glanz der „Ottonen“, will nicht konkreter werden.

Die Crux liegt bei den ungeklärten Finanzfragen. Schon zur Restaurierung gibt es keine belastbaren Schätzungen. Frau Gerlach weiß nur, dass die Arbeit Jahre dauern wird, über Kosten zu sprechen ist es zu früh.

Dem Gewebe aus naturgefärbten Woll- und Seidenfäden setzten nicht nur die Kriegs- und Nachkriegstransporte, sondern auch 100 Jahre Klimaschwankungen zu, als das Schloss leer stand. Sie waren an die Wand genagelt, die Zugkräfte durch das Eigengewicht rissen an den Rändern, die durchweg ausgefasert sind.

Die Stadt Zerbst wird die Finanzierung niemals stemmen können, aber sie hat mit dem Ausbau des Ostflügels für die potenzielle Rückkehr ihres letzten erhaltenen großen Schmuckstücks aus dem Schloss eine Grundlage, an die bei der Wiederentdeckung nicht zu denken war. Der weitere Ausbau bekommt mit der Aussicht auf die Gobelins einen ganz neuen Sinn und die Stadt die Hoffnung auf ein wenig Glanz aus ihrer Residenzzeit. Die Finanzierung wird aus verschiedenen Quellen zu speisen sein. Den Anfang dazu aber muss das Land machen, mit einer politischen Willenserklärung, die sich die Rückkehr der Gobelins zum Ziel setzt.

An einigen Stellen sind Schäden allerdings unübersehbar.
An einigen Stellen sind Schäden allerdings unübersehbar.
Deutsches Historisches Museum Lizenz
Das Zerbster Schloss
Das Zerbster Schloss
Philipp Queitsch Lizenz