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Schlingensiefs «Piloten» landen in Berlin

Von Wilfried Mommert 09.01.2009, 11:08

Berlin/dpa. - Künstler sterben manchmal früh, und für ihr Werk sei das «oft auch ganz gut, bevor sie sich im Alter nur noch selbst zitieren», meint das «wandelnde Gesamtkunstwerk» Christoph Schlingensief.

«Deshalb will ich auf keinen Fall mehr Künstler sein, da will ich dann doch lieber leben», betont der krebskranke 48- jährige Schlingensief in der jüngsten Ausgabe der Zeitschrift «Theater heute». Leben heißt aber eben auch, zuschauen und beobachten wie bei seinen früheren Talkshows. Eine Kinofassung seiner Anfang 2007 in der Berliner Akademie der Künste aufgezeichneten Talkshow- Reihe «Die Piloten» hatte am Donnerstagabend im Berliner Kunstkino Babylon Premiere. Mit dabei waren die Regisseurin Cordula Kablitz- Post und mehrere «Darsteller» wie Rolf Hochhuth, Fernsehpfarrer Jürgen Fliege, Rapper Sido, Grünen-Chefin Claudia Roth und Chorleiter Gotthilf Fischer. Der TV-Kulturkanal Arte zeigt den Film am 4. Juni.

Schlingensief selbst nahm daran nicht teil, «nicht aus Gesundheitsgründen», wie die Regisseurin beruhigend mitteilte. «Die beste Nachricht des Abends ist: es geht ihm wieder viel besser und die Hoffnung ist berechtigt, dass es ihm im Laufe des Jahres noch besser gehen wird und er alle seine Projekte verwirklichen kann.» Schlingensief sei nach Afrika aufgebrochen auf der Suche nach einem Festspielhaus für seine Projekte, wie er es vor kurzem angekündigt hatte und wofür er möglicherweise auch vom Goethe-Institut unterstützt wird. Dazu ist er jetzt in Kamerun und Burkina Faso. In Namibia hatte Schlingensief bereits sein Filmprojekt «The African Twin Towers» mit Patti Smith, Irm Hermann und Robert Stadlober realisiert.

Der Film, der nach Angaben der Filmproduktionsfirma «Schlingensiefs Achterbahn der Gefühle begleitet und die Grenzen seiner medialen Selbstdarstellung auslotet», zeigt den Regisseur auch als «Menschenfischer», wie es einer der Beteiligten ausdrückt. Schwierig ist es, zwischen Schein und Sein bei dieser Veranstaltung noch durchzublicken. Schlingensief verstärkt das Problem noch dadurch, dass er «Prominente als Schauspieler und Schauspieler als Prominente» auftreten lässt, also «falsche und echte Prominente mit falschen und echten Geschichten», die das Publikum misstrauisch machen sollen «gegenüber medialer Selbstdarstellung» der Prominenten, wie es die Filmproduktionsfirma formuliert. «Unsterblichkeit durch die Medien zu erlangen, ist die Religion unserer Zeit.» Das weiß auch der Katholik Christoph Maria Schlingensief, der Gott eigentlich für einen «gescheiterten Künstler» hält.

Es ist ein Verwirrspiel, dem nicht alle gleichermaßen gewachsen sind. Dem 77-jährigen Hochhuth («Der Stellvertreter») fällt plötzlich eine Frau um den Hals, die ihn anhimmelt. Sido meint, dass «viel Scheiße gequatscht wird», ähnlich der Publizistin und «Holocaust»- Mahnmal-Initiatorin Lea Rosh, die Schlingensief ins Gesicht sagt, «es ist Unsinn, was du redest». Fliege wird von Schlingensief als «Prophet» vorgestellt und gefragt, ob es sein könne, «dass du an einer extremen Form von Einbildung leidest». Der Plakat- und Politkünstler Klaus Staeck betont als Akademie-Präsident und damit Hausherr, «ich bin auf alles gefasst und kann als Jurist auch die rote Karte zeigen».

Schlingensief selbst spricht von einer «Sendung von Kranken für Kranke» («Du bist wie ich», sagt er zu einer seiner behinderten Schauspielerinnen) und thematisiert auch gleich seine eigenen Befürchtungen, blind zu werden. Dass man auch als Medienkünstler von der Wirklichkeit überholt werden kann, zeigt schließlich der Abbruch der Dreharbeiten, weil Schlingensiefs Vater im Sterben liegt. Ein Jahr später traf den Regisseur ein neuer Schicksalsschlag, als bei ihm Lungenkrebs diagnostiziert wurde. Aber Schlingensief wäre nicht Schlingensief, wenn er sich dadurch von seinem Weg abbringen lassen würde. Nach seinem Bayreuth-Triumph mit «Parsifal» ist er jetzt auf Afrika-Expedition, um einen neuen Traum zu verwirklichen - ein eigenes Festspielhaus.