Schlachtfeld-Archäologen Schlachtfeld-Archäologen: Sie wollen in Leipzig echte Reste der Völkerschlacht finden

Leipzig - Die Sonne erbarmungslos, die Felder verdorrt, aber auf einem staubtrockenen Acker südlich von Leipzig wird dennoch die Ernte eingefahren.
Nicht von Bauern und Mähdreschern, sondern von einem Grüppchen kurzbehoster Männer mittleren bis fortgeschrittenen Alters - eine Frau ist auch dabei -, die in Formation voranschreiten, Metallsonde in der Hand und Ohrhörer auf dem Kopf.
Sondengänger sind eine verrufene Spezies, aber diese hier sind legitimiert, es sind Schlachtfeld-Archäologen. Sie arbeiten mit ausdrücklicher Billigung des Sächsischen Landesamtes für Archäologie, dessen Referatsleiter Nordwest, Wolfgang Ender, der eingeladenen Presse als erstes versichert, Sondengängerei sei strafbar und nur im wissenschaftlichen Rahmen zu vertreten.
Skelette der Völkerschlacht sind verschwunden
Und der werde gerade erweitert. Zwar gibt es einzelne autorisierte Sondengänger, die im Auftrag des Landesamts nach Spuren der Völkerschlacht suchen, doch dies ist die erste methodische „Feldbegehung“ von anerkannten Wissenschaftlern.
Ein bronzener Doppeladler wachsam auf hohem Sockel steht denn auch als stummer Zeuge am Feldesrand; einer von vieren, die 1913 als „Österreicherdenkmal“ errichtet wurden. Jenes von Holzhausen erinnert laut Inschrift an die „gefallenen Helden der Kämpfe um Liebertwolkwitz, Kolmberg, Seifertshain, Holzhausen und Zuckelhausen“.
Völkerschlacht tobte auf 300 Quadratkilometern
Das ist auch das Geschehen, das die Archäologen in den Blick nehmen wollen, beschränkt auf einen Ausschnitt von kaum mehr als 100 Hektar. Das ist nur einer von den 300 Quadratkilometern, auf denen vom 16. bis 19. Oktober 1813 die gewaltige Entscheidungsschlacht der Alliierten gegen Napoleon tobte.
Dieses bis dato größte Schlachtfeld aller Zeiten, gerechnet in Soldaten und Fläche, ist für Archäologen gleichermaßen verlockend wie abschreckend. Wohl hat man über die Zeit an die 25 Bodenfunde gemacht, zuletzt an der Trasse der Leipzig-Göttinger Autobahn.
Vom bestatteten Schlachtross bis zum Fragment einer russischen „Reise-Ikone“ sind das aber eher Kuriositäten. Nur ein Massengrab ist jemals entdeckt worden. Ender hat eine Erklärung für das Verschwinden der gut 100.000 Toten: Die Bauern hätten die Knochen zu Dünger vermahlen.
Auch Schlacht-Darsteller interessieren sich für die Archäologie
Auferstehen können sie trotzdem, wie ein „Infanterist“ aus einem lokalen Schlachten-Darstellerverein weiß, der in akkurater preußischer Uniform erschienen ist. Dass sich die „Re-Enactment“-Szene ganz besonders für die Schlachtfeldarchäologie interessiert, liegt in ihrem Versprechen, aus der systematischen, GPS-gestützten Kartierung von Oberflächenfunden neue Aufschlüsse zu Schlachtverläufen über die zeitgenössischen Quellen hinaus zu ermöglichen.
Aber den Sondengehern ist klar, dass sie das Leipziger Schlachtfeld nie vollständig erfassen werden. „Wir stehen erst am Anfang“, sagt Initiator André Schürger, tröstet sich aber mit einem kühnen Vergleich. „Es ist wie bei Schliemann in Troja. Er hat den Anfang gemacht für Generationen von Forschern.“
Bleikugeln stehen im Fokus der Suchenden
Freilich suchte der den „Schatz des Priamos“; hier entzückt man sich an Bleikugeln. Schürgers Einladung folgten Koryphäen der Schlachtfeld-Archäologie von weit her - unentgeltlich und in ihrer Urlaubszeit, teils mit Frau und Kind.
Lawrence Babits von der East Carolina University ist mit Feldstudien zu Schlachten aus den amerikanischen Revolutionskriegen bekannt geworden, Adrian Mandzy von der Morehead State University in Kentucky ist ein Experte für Schlachtfelder in Osteuropa, Michael Cahill vom Sligo Institute of Technology hat sich mit Schlachten der irischen und englischen Geschichte, aber auch der amerikanischen Einnahme des Point du Hoc 1944 in der Normandie befasst.
Dan Sivilich schließlich, Leiter einer Stiftung in New Jersey, die sich der Förderung der Schlachtfeld-Archäologie widmet, eilt der Ruhm der „Sivilich-Formel“ voraus. Mit der ist es möglich, bei verformten Bleikugeln den ursprünglichen Umfang, und somit das Kaliber zu ermitteln; auch das Gewicht der Kugel ist aussagefähig. Das Kaliber weist auf die Schusswaffe, die einzelnen Armeen oder Kampfverbänden zugeordnet werden kann.
Rund 70 Bleikugeln der Völkerschlacht werden gefunden
Es braucht eine statistisch verwertbare Zahl von Munitionsfunden, um auf der Karte deutliche Muster an Ballungen erkennen zu lassen. Daraus erst sind Rückschlüsse auf militärische Handlungen möglich. Die Sondengänger vor Holzhausen hoffen auf Einblicke in den 16. Oktober 1813, als der österreichische Kommandant Johann Graf von Klenau den Angriff auf Holzhausen anführte, aber von Napoleons Marschall Jacques MacDonald zurückgetrieben wurde, als es ihm gelang, den Colmberg zu erobern.
Was ist nun an Indizien hinzugekommen, die etwas über die Truppenbewegungen der verbündeten russischen, böhmischen und österreichischen Armeen und Napoleons Heer aussagen könnten? Die rund 70 gefundenen Kugeln, sagt Schürger, sind erst einmal nicht viel. Und nur 35 sind genau bestimmbar, aber sie sind alle den Franzosen zuzuordnen.
Bleikugeln zeigen - wer hat wo geschossen
Offenbar, meint er, hätten sie von Holzhausen heraus geschossen. Wenige Geschosse fand man von den Russen, die wohl von Nordosten kamen, und bisher gar nichts von den Österreichern. Vielleicht umgingen sie Holzhausen südlich und trafen an anderer Stelle auf die Franzosen.
Das allerdings liegt außerhalb der sondierten Fläche. Nächstes Jahr will man sich wieder einfinden, und vielleicht kommt nach und nach die wahre Geschichte ans Licht. (mz)

