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Schauspielhaus Zürich Schauspielhaus Zürich: Marthaler nimmt «Rauswurf» nicht hin

02.09.2002, 16:25
Christoph Marthaler
Christoph Marthaler KEYSTONE

Zürich/dpa. - In der Theaterszene stieß der Rauswurf Marthalers, unter dessenLeitung das Schauspielhaus Zürich gerade zum zweiten Mal zum «Theaterdes Jahres» im deutschsprachigen Raum gewählt worden war, unisono aufUnverständnis. Der in Zürich tätige Regisseur Falk Richter warf derSchweiz Zensur vor, und der Intendant des Deutschen Schauspielhausesin Hamburg, Tom Stromberg, appellierte an Marthaler und seineChefdramaturgin Stefanie Carp: «Lieber Christoph, liebe Stefanie,lasst Euch nicht von Bürokraten niederschnetzeln!»

Für Thomas Ostermeier handelt es sich um einen großen Rückschlagfür die deutschsprachige Theaterszene. «Natürlich steckt hinter demRausschmiss von Marthaler ein anderer Grund als Auslastungszahlenoder wirtschaftliche Probleme», sagte der Leiter der BerlinerSchaubühne am Montag der dpa. «Das Ganze ist ein kulturellerBacklash, der sich auch in Deutschland breit macht.» Vorgeschobenwürden in solchen Fällen immer ökonomische Gründe. «In unserer Zeitdes Terrors der Marktwirtschaft und ihrer Agenten scheint dies dereinzig verbleibende Wertmaßstab zu sein, der auch noch vom letztenKleinbürger verstanden werden kann.»

Am Schauspielhaus in Zürich herrschte am Montag Bestürzung überden Beschluss des Verwaltungsrates, den Marthaler und seineChefdramaturgin Stefanie Carp erst am Montag in der Post vorfanden.Das Ensemble wollte sich zum ersten Mal nach der Sommerpause mitseinem Chef treffen. «Was mich am meisten konsterniert und beleidigt,ist die Hinterhältigkeit des Vorgehens», zitiert der «Tages-Anzeiger»Marthaler weiter. Der Verwaltungsrat habe gewusst, dass er amWochenende fort sei, und man habe für diesen Montag ein Treffenvereinbart.

Der Verwaltungsrat hatte am Samstag den «Rauswurf» mit den stetigsinkenden Zuschauerzahlen begründet und erklärt, dadurch sei klargeworden, dass Marthalers künstlerisches Konzept mit den zurVerfügung stehenden Mitteln nicht weitergeführt werden könne. DerVertrag des Intendanten läuft über fünf Jahre, er kann aber nach dreiJahren überprüft werden können. Die «Neue Zürcher Zeitung» (NZZ)sieht hier Kosten auf die Stadt zukommen, denn das «vorzeitigeAussteigen aus dem Fünfjahresvertrag mit dem Intendanten ist nichtgratis».

In den großen Schweizer Zeitungen herrschte am Montag weitgehendEinigkeit, dass die Vertragsauflösung trotz gewisser mangelnderkaufmännischer oder auch mancher exzentrischer Neigungen Marthalersein Fehler ist. Von einem «schlechten Witz» spricht der «Tages-Anzeiger» und nennt das ganze provinziell. Die NZZ verweist darauf,dass Marthaler das Schauspielhaus Zürich «aus dem Dornröschenschlafgeweckt hat, in dem es dämmerte». Die «Berner Zeitung» nennt dieKündigung «blanken Hohn» und vermutet «politische Machenschaften».Die «Basler Zeitung» erläutert, dass die Politik den Theatermannnicht ausreichend unterstützt habe und spricht von einer«Konzeptionslosigkeit der Zürcher Theaterpolitik».