Schauspiel Leipzig Schauspiel Leipzig: Quälender Leerlauf, reichlich Dosenbier
Leipzig/MZ. - Natürlich ist es eher eine Beschimpfung als ein Kosename, dennoch will das Wort zu seinem Träger passen: "Neger" nennen sie den großen Hund - nicht nur weil er schwarz ist, sondern weil er zudem an der Kette liegt.
Dass sich im engen Auslauf-Radius zwischen Holzwand und Kühltruhe auch ihre eigenen kleinen Kreise spiegeln, können und wollen die jungen Männer und Frauen nicht wahrhaben. Der flämische Autor Arne Sierens hat in "Mein Neger" das schwarz-weiße, ungekünstelte Gruppenbild einer Dorf-Clique gezeichnet, die im "Außerhalb" und im "Heute" siedelt.
Dass die nun als Studio-Inszenierung am Schauspiel Leipzig erarbeitete Erstaufführung diese Anweisungen nur allzu ernst nimmt, zeigt sich bereits in den Danksagungen des Programmhefts: In Orten wie Schnaudertrebnitz, Machern oder Krensitz haben die Studenten um Regisseur André Turnheim und Dramaturgin Skadi Riemer nach jenem Milieu gesucht, das greifbar nah und doch meilenweit von ihren städtischen Erfahrungen entfernt ist.
In diesem dokumentarischen Ansatz liegen Größe wie Grenzen des Abends begründet. Einerseits werden Porträts möglich, die von Perspektivlosigkeit und von freiwilliger Selbstbeschränkung erzählen. Andererseits aber droht bei solchen Nahaufnahmen immer der Absturz in die Karikatur, der sich aus der Ansammlung von Klischees und aus der herablassenden Betrachtung ergibt. Dafür vor allem finden sich - von den Kraftmeiern in Jogginghosen bis zum Cowboy in der Lederweste - leider viele konkrete Beispiele. Nur wenige Studenten entdecken in den trist tropfenden Texten genügend Material, um ihre Figur zu profilieren.
Mit dem äußerlich selbstbewussten, in Wahrheit aber zutiefst verunsicherten Jungbauern Andreas (Jörg Malchow) und der trotz Fernweh zum Bleiben gezwungenen Peggy (Theresa Scholze) behaupten sich immerhin zwei zentrale Figuren glaubhaft. Der städtische Störfaktor Lukas (Johannes Geißer) hingegen ist derart überzeichnet, dass man die Ablehnung der Dorfjugend durchaus nachvollziehen kann. Wenn dies das Idealbild der fernen Freiheit sein soll, bleibt man doch lieber in der Nähe und kühlt sein Mütchen im Zweifelsfall bei Zweikämpfen oder mit Dosenbier. In der letzten Phase, in der eine Geburtstagsfeier zur traurigen Orgie ausartet, grenzt die betont ruppige Inszenierung zeitweise an Freiheitsberaubung: Wer nach alten Party-Hits wie "Wild Boys" den Leerlauf noch nicht verinnerlicht hat, wird spätestens mit "Life is Live" auf die Null-Linie gebracht.
Dazu wird getanzt, geprügelt und gepöbelt, als wäre der Mangel an Zukunft nur durch die Vernichtung der Gegenwart erträglich. Mit Theater hat das nicht mehr viel zu tun - aber umso mehr mit Therapie: "Bald ist hier nur noch Wald...".
Die nächsten Vorstellungen: heute sowie am 11. und 12. Februar, jeweils um 20 Uhr.