Schauspiel Leipzig Schauspiel Leipzig: Hamlet im Narrenkäfig
Leipzig/MZ. - Wolfgang Engel bleibt die Antwort auf dieseFragen weitgehend schuldig. Zwar hat er sichfür seinen Saisonauftakt am Schauspiel Leipzigmit Sylvester Groth einen prominenten Darstellerverpflichtet, der seiner Prinzenrolle durchausgewachsen sein könnte. Doch ein Star alleinist noch kein Konzept, zumal, wenn man ihnirgendwo im Nirgendwo abwirft und mit diversenChargen umgibt. Genau dies tut der Regisseurin einer Inszenierung, die ihre Ratlosigkeithinter atemloser Hektik verbirgt.
Das beginnt schon im albernen Kinderspielzwischen Ophelia und Laertes, das hier dieStelle des gespenstischen Auftaktes einnimmt.Der Geist des alten Hamlet ist - wie späterauch die unwichtigen Figuren von Rosenkranz,Güldenstern und Fortinbras - gestrichen, seinegroße Erzählung vom Mord im Garten serviertHamlet jr. in einem schizophrenen Monolog.Diese Entscheidung mag man als dramaturgischeLösung einer immer wieder zwischen Pein- undLächerlichkeit changierenden Voraussetzungfür das folgende Drama akzeptieren. Sie kehrtdie äußeren Anlässe freilich konsequent nachInnen und lässt Hamlet nicht verrückt scheinen,sondern sein.
Solchen Eindruck verstärkt Horst VogelgesangsBühnenraum, der mit freiliegenden Rohrleitungenund Metallgeländern, Fliesenfußboden und Kalkwändeneine nüchterne Funktionsarchitektur offeriert.Die Metalltür auf der Galerie könnte einegeschlossene Anstalt abschließen, die Garderobeunter der Balustrade eine Probebühne - dieGrenzen zwischen diesen Narrenkäfigen sindfließend.
Überhaupt konzentriert Engel den Blick desBetrachters auf Figuren, die bei Shakespeareeine kurze, aber tragende Rolle spielen -die Schauspieler. Wenn sie sich auf ihr Stückim Stück vorbereiten, gewinnt der rasendeStillstand plötzlich Ruhe und Raum. Ein ganzalter und ein junger Darsteller - Dieter Jaßlaukund Michael Schroth - teilen sich diesen großenAuftritt sowie die Totengräberszene und dieHöflings-Rollen. Und plötzlich scheint plausibel,wieso Engel seinen Hamlet aus dem Souffleurkastenkommen lässt und die großen Monologe immerwieder direkt an das Parkett adressiert: Vonder entlarvenden Inszenierung am Dänenhofauf den Klassiker im Spielplan des SchauspielsLeipzig schließend, wird die kathartischeKraft jedes Bühnenspiels behauptet. Indemman die Wirkung der Schauspieler auf die Schuldigenim Stück betont, will man einen ähnlichenEffekt bei den Adressaten im Publikum provozieren.
Das ist schön gedacht, aber weniger schöngemacht. Denn das Leipziger Ensemble produziertoft unfreiwillige Komik und fahrlässigen Etikettenschwindel.Was soll dieser blutarme Polonius, was diesehysterische Gertrud erzählen? Warum wirktLaertes wie ein unbeholfener Korpsstudent,wieso ist Horatio ein Provinz-Intellektueller?Weil die Brechung nicht funktioniert, weilihnen allen genau jene Kraft der Identifikationverweigert wird, die man den bewusst lächerlichgemachten Schauspielern in der Mini-Tragödiezubilligt.
Hinzu kommt die Übersetzung von Maik Hamburgerund Adolf Dresen, die sehnsüchtig erwarteteKernsätze einer eitlen Neudeutung opfert.Nur einmal an diesem Abend traf sie ungewolltins Schwarze. Ein Stoßseufzer des Königs Claudiuserntete da bitteres Gelächter vom Rang: "HelftEngel!".