Schauspiel Schauspiel: Ein Ritter vergaloppiert sich
MAGDEBURG/MZ. - Nur der Herr ganz rechts, der mit dem scharfen Seitenscheitel und der Kassenbrille, wirkt verdächtig ruhig - eine traurige Gestalt, die mit Narrenhänden Tisch und Wände beschmiert, während sich die anderen um das tote Telefon streiten.
Mit ihrem Magdeburger Debüt "Don Quichote" setzt sich die Regisseurin Claudia Bauer erneut mit einem literarischen Archetyp auseinander, dem sie sich auf der Kulturinsel Halle bereits im "Parsifal" gewidmet hat: dem reinen Toren in der Ritter-Rüstung, der als anachronistischer Einzelkämpfer durch seine Zeit geht. Doch während der kraftstrotzende Held des mittelalterlichen Romans eine echte Gefahr für seine Umwelt darstellte, verletzt sich sein Epigone aus Spanien nun permanent selbst. Der Phantast, den Miguel de Cervantes mit dem Diener Sancho Pansa und dem Pferd Rosinante auf Abenteuerreise schickte, ist mit seinem sprichwörtlichen Kampf gegen Windmühlen ein Held in der permanenten Krise - und darum vielleicht gegenwärtig so aktuell.
Party mit Tourette-Syndrom
Möglicherweise ist es ja auch ein Symptom der Krise, dass man auf deutschen Bühnen wieder zunehmend jenen unwirtlichen Warteräumen begegnet, die durch das Duo Christoph Marthaler und Anna Viebrock berühmt geworden sind. In Magdeburg hat Daria Kornysheva die Ölsockel-Tristesse möbliert: Ein paar Tische und Stühle als Inseln für die Gestrandeten, eine kleine Waschecke und ein funktionsloses Büro genügen als Ambiente für die Geschichte, die freilich eher assoziiert als erzählt wird. Dass es die Regisseurin ihrem Publikum damit nicht leicht macht, zeigten die Reaktionen bei der Premiere: Fast zwei Dutzend Zuschauer verließen den Saal, als sich das Spiel zum Kindergeburtstag mit Tourette-Syndrom entwickelte. Dabei bedarf die Inszenierung der Obszönitäten gar nicht, mit denen Julia Schubert Quichotes imaginäre Geliebte Dulcinea schmäht. In Jonas Hien findet der Abend einen Hauptdarsteller, der mit manischer Energie gegen die vermeintlichen Widrigkeiten anrennt und der sich dabei auch nackt keine Blöße gibt.
Gemeinsam mit dem virtuos unbeholfenen Bastian Reiber befreit er seine Mitspieler aus der allgemeinen Agonie und öffnet ihnen Phantasie-Räume, in denen sie seine Abenteuer mit- und nachvollziehen können.
Wer sich freilich ohne Vorkenntnisse auf die Fahrt begibt, wird schon bald den Faden verlieren. Denn der Ritterschlag durch den Barbier, der Kampf gegen die Hammelherde und das heilsame Spiegelfechter-Duell werden als Anekdoten entwickelt, die man eher erraten als erkennen kann - ebenso wie das Zitat aus dem Musical "Der Mann von La Mancha", das einen beiläufigen Verweis auf ein populäreres Vorbild liefert.
Es bleibt - bei allem Rhythmusgefühlt und bei dem sehenswerten Engagement der Darsteller, zu denen neben den Genannten Susanne Krassa, Alexander Absenger, Frank Benz und Martin Reik gehören - ein problematisches Spektakel. Die Bildkraft, mit der Claudia Bauer zuletzt ihre "Virgin Queen" ausgestattet hat, findet sich zwar auch in ihrem "Don Quichote" wieder, wenn die Welt durch die Wand hereindringt und das Refugium zerstört. Aber die erzählerische Souveränität wird hier häufig mit einem selbstbezüglichen Duktus verwechselt, der eine undurchdringliche Wand zu jenen Adressaten aufbaut, die immer wieder direkt angesprochen werden.
Zeigen, was man sieht
Man sieht der Inszenierung an, wie tief sich die Regisseurin, ihre Dramaturgin Dag Kremser und das Ensemble in den Urtext gegraben haben. Dass sie nun keinen Weg mehr finden, ihn dem Uneingeweihten zu vermitteln, birgt durchaus Ironie: Denn auch Don Quichote konnte seinen Mitmenschen ja nicht zeigen, was er sah - und vergaloppierte sich gewaltig.
Nächste Vorstellungen: 9. Januar, 19.30; 10. Januar, 15 Uhr
Die Bühne im Internet: