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Sächsisches Psychiatriemuseum Sächsisches Psychiatriemuseum: Als Patienten noch als "toll" und "wahnsinnig" galten

Von Kai Agthe 22.09.2016, 18:42
Porträt und Schreibmaschine der sächsischen Dichterin Lene Voigt, die von 1946 bis 1962 in den Psychiatrischen Anstalten Leipzig-Dösen lebte.
Porträt und Schreibmaschine der sächsischen Dichterin Lene Voigt, die von 1946 bis 1962 in den Psychiatrischen Anstalten Leipzig-Dösen lebte. dpa

Leipzig - Daniel Paul Schreber dürfte der berühmteste Psychiatriepatient und Hermann Paul Nitsche der berüchtigtste Psychiater Sachsens sein. Der Jurist Schreber machte sich einen Namen mit dem Buch „Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken“ (1903), in dem er von seiner psychischen Erkrankung berichtete. Nitsche wiederum ist in die Geschichtsschreibung eingegangen als ein Vollstrecker des „Euthanasie“-Programms der Nazis: Der Arzt, der in den 1920er Jahren einer der angesehensten Psychiater war, leitete 1940/41 in Sachsen die „Aktion T 4“, in deren Verlauf Tausende – wie es die NS-Ideologie formulierte – „erbkranke“, also geistig und seelisch behinderte Menschen, in Anstalten wie etwa Pirna-Sonnenstein mit Gas oder Gift ermordet wurden. Nitsche experimentierte im Jahr 1940 auch mit medikamentösen Tötungsverfahren, dem 60 seiner Patienten zum Opfer fielen.

Einblick in die Psychiatrie-Historie

Schreber und Nitsche – beide können als Endpunkte jener Linie gesehen werden, die die Geschichte der Psychiatrie in Sachsen allein im 20. Jahrhundert bildet. Das Sächsische Psychiatriemuseum in Leipzig dokumentiert nicht nur beider Biografien, sondern bietet einen Einblick in die Psychiatrie-Historie, und zwar vor allem aus der Patienten-Perspektive. „In unserer Ausstellung geht es um den psychisch kranken Menschen und wie mit ihm in der Vergangenheit umgegangen wurde“, sagte Museumsleiter Thomas R. Müller. Vom Verein „Durchblick“ getragen und vor 15 Jahren eröffnet, muss das Psychiatriemuseum in der Mainzer Straße zwar ohne öffentliche Förderung der öffentlichen Hand auskommen, es ist in den vergangenen Jahren dennoch langsam und stetig gewachsen.

Die Schau schlägt einen großen Bogen von der Frühen Neuzeit bis ins 20. Jahrhundert. Noch im 18. Jahrhundert galten psychisch Kranke gewöhnlich als „toll“ oder „schwachsinnig“ und wurden in Irren- oder Narrenhäusern weggesperrt. Dort kamen allenfalls Schocktherapien wie Eiswasserbäder oder Maßnahmen wie „Zwangsstehen“ zur Anwendung. Erst Ende des 19. Jahrhunderts bildete sich die Psychiatrie zu einer seriösen, um das Wohl des Kranken besorgte medizinische Fachdisziplin heraus.

Jüngste Abteilung informiert über die Psychiatrie in der DDR

Die jüngste Abteilung im Leipziger Museum informiert über die Psychiatrie in der DDR. Die setzt freilich bereits 1947 ein, also in der Sowjetischen Besatzungszone. In besagtem Jahr sorgte der Dresdner „Euthanasie“-Prozess für Aufsehen, in dem sich 15 Ärzte, Pfleger und Schwestern wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verantworten hatten. Unter ihnen auch Nitsche, der zum Tode verurteilt und 1948 hingerichtet wurde.

Es blieb das einzige große Verfahren gegen Mediziner, die in der NS-Zeit an der Ermordung von psychisch Kranken beteiligt waren. Aus Gründen, die in der Schau benannt werden: „Die meisten vom Ministerium für Staatssicherheit geführten Ermittlungen wurden eingestellt, um (...) unter der medizinischen Intelligenz keine Unruhe zu erzeugen.“ Zu den bekanntesten Patienten der Leipziger Psychiatrie gehörte in den ersten Jahren der DDR die Dichterin Lene Voigt (1891-1962), die Texte in sächsischem Dialekt schrieb. Ihr Gedicht „Wir armen Irren“ ist in einer Abschrift von 1954 zu sehen. Ob Lene Voigt tatsächlich an Schizophrenie litt, wegen der sie in die Psychiatrie kam, wurde posthum jedoch in Frage gestellt.

Irrtümer von Amts wegen unterliefen immer wieder

Irrtümer von Amts wegen unterliefen immer wieder. Die Dunkelziffer ärztlicher Fehldiagnosen dürfte groß sein. Stellvertretend für diese Klientel steht das Schicksal von Ruth Delacasa (1934-2010). Aus Stettin stammend, wuchs sie nach dem Zweiten Weltkrieg in verschiedenen Waisenhäusern auf, ehe sie wegen Renitenz in die Psychiatrie abgeschoben und von Klinik zu Klinik gereicht wurde: „Sie hat fast ihr gesamtes Leben in Anstalten verbracht, ohne eine relevante psychiatrische Diagnose.“

In DDR-Anstalten waren aber nicht nur psychisch Erkrankte zu finden, sondern bisweilen wurden dort auch Regimekritiker und politische Gefangene zwangseingewiesen. So geschah es auch dem Physiker Dietrich Koch, Jahrgang 1937. 1968 hatte er erst gegen die Sprengung der Leipziger Paulinerkirche und dann mit einer Plakat-Aktion für deren Wiederaufbau demonstriert. Von der Stasi verhaftet, wurde Koch zu zweieinhalbjähriger Haft sowie anschließender unbegrenzter Einweisung in die Psychiatrie verurteilt.

Das Urteil und das diesem zugrundeliegende Gutachten wurden später von der sächsischen Untersuchungskommission als politischer Psychiatriemissbrauch anerkannt. Schon 1972 wurde Koch in die Bundesrepublik abgeschoben, wo er zuletzt an der Universität Essen lehrte.

Auch bei Stadtführungen kann man die Geschichte der Psychiatrie in Leipzig erkunden. Erinnert wird auf den Rundgängen an die Lebensgeschichten von historischen Persönlichkeiten wie Robert Schumann, Friedrich Nietzsche und Karl May, die auf unterschiedliche Weise mit der Psychiatrie in Berührung kamen. (mz)

Psychiatriemuseum: Leipzig, Mainzer Straße 7, Mi-So 13-18 Uhr

Das Museum im Internet: www.psychiatriemuseum.de