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Sachsen-Anhalts Bühnen Sachsen-Anhalts Bühnen: Der Stand der Dinge

Von andreas montag 29.09.2014, 09:07
In der Magdeburger Inszenierung von „Spur der Steine) fährt die Brigade von Hannes Balla (Oliver Chomik, links) die Ingenieurin Katja Klee (Sonka Vogt) zur Baustelle.
In der Magdeburger Inszenierung von „Spur der Steine) fährt die Brigade von Hannes Balla (Oliver Chomik, links) die Ingenieurin Katja Klee (Sonka Vogt) zur Baustelle. böhme Lizenz

magdeburg/halle (Saale) - Sachsen-Anhalts Theaterfreunde dürfen sich glücklich schätzen: Sie bekommen erstklassige, engagierte Bühnenkunst, so hat es der Saisonstart der Schauspieltruppen in Magdeburg und Halle jedenfalls eindrucksvoll versprochen - bei aller Unterschiedlichkeit des jeweils Angebotenen. Und auch die Künstler werden zufrieden sein. Sowohl in der Hauptstadt als auch in der selbst ernannten Kulturhauptstadt des Landes hatte sich am Freitag- und am Samstagabend ein so offenes, begeisterungsfähiges Publikum eingefunden, dass man sich auf das Kommende um so mehr freuen kann.

In Magdeburg hat Schauspieldirektorin Cornelia Crombholz, eine gebürtige Hallenserin übrigens, den Kollegen an der Saale einen großen Stoff „weggeschnappt“. Zum Spielzeitauftakt inszenierte sie die von Dagmar Borrmann erarbeitete Bühnenfassung von Erik Neutschs Roman „Spur der Steine“ - die Saga von dem charismatischen Zimmermann Hannes Balla (Oliver Chomik), der seine Brigade eher wie ein Räuberhauptmann führt.

Es ist nicht die erste Adaption des 1964 erstmals gedruckten Buches von Neutsch, der vor einem Jahr in Halle gestorben ist. Kurz nach Erscheinen des Romans verfasste Heiner Müller das Drama „Der Bau“, das ebenso wie der 1965 von Frank Beyer gedrehte Defa-Film „Spur der Steine“ von der SED-Führung postwendend verboten wurde. Es steckte zu viel Wirklichkeit darin - mehr, als die Funktionäre vertragen konnten. Und, wie sich nun in Magdeburg erweist: Das Werk funktioniert noch immer auf wunderbare Weise.

Der Erfolg hat hier nicht Väter, sondern Mütter. Dagmars Borrmanns Destillat aus dem Roman bündelt die Hauptkonflikte bewundernswert klar und wird ihm damit nicht nur gerecht, sondern verhilft ihm womöglich zu neuem Interesse. Es geht zum Einen um den Widerspruch zwischen bürokratischer Planwirtschaft und Kreativität, zum Anderen um den zwischen persönlicher Verantwortung und gesellschaftlicher Scheinmoral.

Dass dies mit Spannung wie auch Heiterkeit über die Bühne kommt, zudem ohne Scheu vor großem Gefühl, ist der Regisseurin Cornelia Crombholz zu danken, die gemeinsam mit ihrem Ensemble einen Wurf gelandet hat. Die ganze Truppe ist bis in die Haarspitzen motiviert, um es mit einem hübschen Sprachbild aus der Welt der Sportreportagen zu beschreiben.

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Drittens schließlich hat Marion Hauer, zuständig für Bühne und Kostüme, einen Sonderbeifall verdient, die ausführenden Techniker nicht minder, denen die glücklichen Darsteller nach der Premiere extra applaudierten.

Dass es gelingt, hier eine Baustelle (die ja nebenher sinnbildlich für das Projekt Sozialismus steht) nicht putzig, sondern als stampfenden, holpernden, atmenden Organismus auf die Bühne zu bringen, ist das staunenswerte Ergebnis einer gelungenen Teamarbeit.

Und wenn man denn noch etwas hervorheben sollte an dieser Theater-Arbeit: Die Konsequenz der jungen Ingenieurin Katja Klee (Sonka Vogt), ihre Liebe zum verheirateten Parteisekretär Horrath (Raimund Widra) zu leben, ist ebenso großartig und überzeugend gespielt wie der Verrat, den Horrath an dieser Liebe begeht.

Will man dieser Tage, da allenthalben über den Fall der Mauer vor 25 Jahren geredet wird, etwas über den Stand der ostdeutschen Dinge erfahren und wie es zu allem kam - im Magdeburger Schauspiel ist es abzuholen. Drei Stunden dauert der Abend, man langweilt sich in keinem Augenblick.

In Halle hat der Schauspiel-Intendant Matthias Brenner auf die Form des Spektakels gesetzt, in großer Eindringlichkeit. Symbolisch knüpft man dabei an die Besetzung des Hauses durch sein Publikum an. Vor Jahresfrist sah sich das Theater durch die Kürzungspläne der Landesregierung existenziell bedroht, im Hof der halleschen Kulturinsel brannte ein wärmendes Feuer, an dem man sich traf. Nun hat dieses Feuer auch am Samstag wieder geflackert, der brandige Geruch zog bis an die Spielorte und passte ganz gut zu dem, was dort überwiegend verhandelt wurde.

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Auch in Halle wird nach dem Stand der Dinge gefragt, der Befund trifft Schmerzpunkte der Zeit. Auf vier Spielstätten gibt es zwei Mal zwei Stücke vorab, von denen man jeweils ein Zweier-Paket sehen kann, bevor schließlich für alle „Ödipus Stadt“ im Großen Saal gezeigt wird. Neben den „Hurengesprächen“ mit Texten von Mühsam, Wedekind und Wenzel, die Brenner selbst inszenierte, wird die sarkastische Zeitreise „Stadt, Land...“ geboten, in der mit einer Zukunft gespielt wird, in der es das Land Sachsen-Anhalt nicht mehr gibt, wie wir wir es heute kennen (Regie: Dietmar Rahnefeld).

Düster geht es in „Dschungel ohne Bisse“ zu. Henriette Hörnigk hat Hilmar Eichhorn als den Dichter Gottfried Benn in Szene gesetzt, dem der Ruf des Elitären und eine, wenn auch nur kurzzeitige Nähe zum Nationalsozialimus anhängen. Eichhorn, assistiert von Alexander Pensel und Till Schmidt, gelingt eine beeindruckende Studie eines Mannes, den der Ekel vor Machtgeilheit und Dummheit immer mehr in die Einsamkeit trieb.

Im Casino hingegen läuft „Die Flinte, die Laterne und Mary Monroe“ nach einer Erzählung von Clemens Meyer . Regisseur Alexander Gamnitzer spürt dem Wahnsinn eines Mannes nach, der mit den Gespenstern seiner Alkohol-Sucht und mit einer großen, alles verschattenden Angst kämpft.

Einsam ist es auch um die Protagonisten in „Ödipus Stadt. Die Theben-Trilogie“ nach Sophokles, Euripides und Aischylos bestellt. Wolfgang Engel forciert die Bühnenfassung John von Düffels nicht zuletzt dank seiner hervorragenden Darsteller um Hagen Ritschel (Ödipus), Petra Ehlert (Iokaste) und Martin Reik (Kreon) zur entscheidenden Frage nach der Verantwortung für das Humane. Die Götter sind es nur am Rande, die hier noch eine Rolle spielen. Die Macht ist die Gottheit. Es wird gelogen, hintergangen, gemordet wie alle Tage - so nahe kann einem die Antike kommen. Wer sich nicht wehrt, wird umkommen. Wer sich wehrt, womöglich auch. Man kann das pessimistisch finden. Oder aber befreiend wahrhaftig. Der starke Applaus in Halle sprach für das Letztere. (mz)

Ödipus (Hagen Ritschel), verzweifelter Vatermörder und Gatte seiner eigenen Mutter Iokaste (Petra Ehlert, li.)
Ödipus (Hagen Ritschel), verzweifelter Vatermörder und Gatte seiner eigenen Mutter Iokaste (Petra Ehlert, li.)
wenzel Lizenz
„Spur der Steine“ zeigt auch die Spur der Bürokratie.
„Spur der Steine“ zeigt auch die Spur der Bürokratie.
nilz böhme Lizenz
Halle: Hilmar Eichhorn (li.) als Gottfried Benn mit Alexander Pensel (Mi.) und Till Schmidt in „Dschungel ohne Bisse“.
Halle: Hilmar Eichhorn (li.) als Gottfried Benn mit Alexander Pensel (Mi.) und Till Schmidt in „Dschungel ohne Bisse“.
fals Wenzel Lizenz
Magdeburg: Katja Klee (Sonka Vogt), Horrath (Raimund Widra)
Magdeburg: Katja Klee (Sonka Vogt), Horrath (Raimund Widra)
böhme Lizenz