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Sachbücher Sachbücher: Über kochende Leidenschaft und Kunstfurzer

Von Annett Klimpel 18.06.2007, 10:43

Hamburg/dpa. - Essen macht nicht nur satt, es ist auch ein wichtiges gesellschaftliches Bindeglied. Mit der Bedeutung von Nahrungsmitteln für das Zusammenleben und für die geschichtlicheEntwicklung beschäftigen sich drei aktuell erschienene Bücher:«Safran, Sushi und Prosecco» von Marcus Reckewitz und HannesBertschi, «Kochende Leidenschaft» von Jean-Claude Kaufmann und«Kaffee» von Heinrich Eduard Jacob.

Auf höchst amüsante Weise widmen sich Reckewitz und Bertschi demGenuss: Humorvoll und faktenreich schildern sie die Historie vonSpezialitäten wie Blutente und Crepe Suzette sowie Bulette undWeißwurst. Sie erläutern, warum der Mensch ähnlich der Fruchtfliege nach Vergorenem schmachtet, schildern detailreich, wie aus einer erstickten und in einer Presse bearbeiteten Ente eine teure Spezialität entsteht und wandeln auf den ungesicherten Spuren der Pommes.

Auch einer Randerscheinung bei Tisch ist in dem sehr zuempfehlenden Werk ein Kapitel gewidmet: der Flatulenz. «In allerÖffentlichkeit furzen und dafür auch noch tosenden Beifall erhalten - wie viele Männer mögen davon träumen?», schreiben die Autoren und erinnern an die Ära der Kunstfurzerei im 18. und 19. Jahrhundert. Sie erklären zudem, warum die Hinterlassenschaften des Fleckenmusangs sokostbar sind, das Prosecco keine Weinregion, sondern eine Traubebezeichnet und warum es kein Lebensmittel gibt, bei dem die Gefahreiner Fälschung größer ist als beim Safran.

Ein Vergnügen ist es auch, die Geschichte der Kiwi nachzulesen,die vor mehr als 100 Jahren von der gestressten Lehrerin einesMädchenpensionats entdeckt wurde. Das Buch ist das dritte Werk desDuos, das bereits mit «Von Absinth bis Zabaione» und «Champagner,Trüffel und Tatar» seine Leser begeisterte.

Weniger kurzweilig, aber ähnlich faktenreich ist das Buch«Kochende Leidenschaft». Der französische Soziologe Kaufmann(«Singlefrau und Märchenprinz») hat sich mit der Bedeutung des Essensfür den familiären Zusammenhalt beschäftigt. Sein Buch basiert aufder Befragung von Frauen zu Essverhalten, Tischritualen und zurBedeutung der Mahlzeiten innerhalb der Familie.

Zudem erläutert Kaufmann kurz die Kulturgeschichte des Kochens. Ererklärt beispielsweise, dass Melonen lange Zeit zu den «kalten»Nahrungsmitteln gezählt wurden, die das «sexuelle Feuer» dämpften,aber als verdaungshemmend galten. Deshalb seien sie stets zusammenmit «heißen» Nahrungsmitteln wie Gewürzen, Wein und Wurst verzehrtworden - Gerichte wie Melone mit Parmaschinken zeugten noch heute vondiesem Irrglauben.

Kaufmann verdeutlicht, dass Kochen für viele Frauen auch heutenoch keineswegs eine Tätigkeit ist, die mit Passion und Freudeausgeübt wird - sondern allzu oft eine als mühselig und unangenehmangesehene Pflicht. Der Soziologe erinnert an die Zeiten, alsFamilien noch allabendlich beisammen saßen und aus einer Schüssellöffelnd ihr oftmals sehr kärgliches Mahl verzehrten. Und er führtaus, was die Moderne mit all ihren neuen Ernährungsmöglichkeiten ausdiesem gemeinsamen Ritual gemacht hat. «Der autonome Esser ist immerin Bewegung und hat es eilig, als fürchtete er sich davor, wieder indie Falle zu geraten, nachdem er sich doch von der alten Zucht undOrdnung befreit hat.»

Für die Untersuchung wurden 22 französische Frauen und Männerbefragt, deren biografische Angaben im Anhang zu finden sind.Kaufmanns Werk ist kein Fachbuch über richtige Ernährung undEssenszubereitung, sondern eher eine auf individuellen Fallbeispielenbasierende Erzählung. Allerdings wird dabei recht viel loses Material«mitgeschleppt», dass das Buch etwas fad wirken lässt, einzelneAspekte doppeln sich.

Ganz allein einem einzigen Getränk ist das neu aufgelegte Buch vonHeinrich Eduard Jacob (1889-1967) gewidmet, der als einer derBegründer des «Neuen Sachbuchs» gilt: dem Kaffee. Lange Zeit war dieKaffeebohne der zweitwichtigste Rohstoff auf dem Weltmarkt nach demRohöl. Zwölf Kaffeebäume werden statistisch für jeden Bundesbürgerjährlich pro Hand geerntet. Die munter machende Bohne gilt als Keimder Globalisierung. Jacob beschreibt, wie der Kaffee Aufnahme in dieKüchen der Menschheit gefunden haben könnte. Anschaulich undaußergewöhnlich umfassend schildert er die Historie des Anbaus, desHandels und der gesellschaftlichen Bedeutung des Genussmittels.

Der Journalist verdeutlicht, wie viele Millionen Schicksale in denvergangenen Jahrhunderten auf vielfältige Weise von den kleinenBohnen abhingen. Das hochwertig gestaltetes Standardwerk wird ergänztvon einem Essay über die aktuellen Entwicklungen der Kaffeewelt sowieeinige Karten, die die wichtigsten Wege des Kaffees nachvollziehen.

Marcus Reckewitz, Hannes Bertschi:
Safran, Sushi und Prosecco
Scherz Verlag, Frankfurt am Main
288 Seiten, Euro 17,90
ISBN 978-3-5021-5028-2

Jean-Claude Kaufmann:
Kochende Leidenschaft
Soziologie vom Kochen und Essen
Medien Verlagsgesellschaft, Konstanz
372 Seiten, Euro 19,90
ISBN 978-3-8966-9558-1

Heinrich Eduard Jacob:
Kaffee - Die Biographie eines weltwirtschaftlichen Stoffes
Oekom Verlag, München
357 Seiten, Euro 24,90
ISBN 978-3-8658-1023-6