Sachbuch Sachbuch: Biografie über einen engen Freund von Sophie Scholl

Hamburg/dpa. - Zwei Tage später wird Sophie Scholl verhaftet. Als der beiStalingrad verwundete Wehrmachtsoffizier Hartnagel am 22. Februar imLazarett in Lemberg den Brief öffnet, flattern ihm zwei trockeneBlütenblätter entgegen. Es ist der Tag, an dem seine Freundin inMünchen unter dem Fallbeil stirbt. Von ihren Aktivitäten imWiderstandskreis der Weißen Rose, ihrem Prozess und ihrer Hinrichtung erfährt er erst später.
Die Geschichte dieser Liebe zwischen der Oberschülerin, die zurIkone des deutschen Widerstandes werden sollte, und dem vier Jahreälteren Berufssoldaten in Hitlers Armee ist Dreh- und Angelpunkt desneuen Buches von Hermann Vinke über Fritz Hartnagel. Von ihr hererschließt sich der ganze weitere Lebensweg des Mannes, dem dieseLiebe zum Schicksal und - mit beispielhafter Konsequenz - zumpolitischen Auftrag im Nachkriegsdeutschland wurde.
Alles fängt ganz harmlos beim Tanzen unter Freunden an, im Winter1937 in Ulm. Der äußerlich etwas burschikosen 16-Jährigen gefällt dersportliche, gut aussehende und dabei ernsthafte Fähnrich und begehrteTänzer. In den ersten Briefen scherzt und kokettiert sie unbefangenmit dem Älteren. Ihm imponieren wohl ihre Aufgewecktheit,Geistesgaben und kreativen Talente. Sophie kam aus einer Weltgelebter Bildung, die er bisher kaum kannte. Man trifft sich an denWochenenden mit Freunden zum Wandern, in Ausstellungen oder beiLesungen.
Die Unbefangenheit in ihrer Beziehung weicht in dem Maße, wie sieenger und zugleich vom beklemmenden Alltag des Naziregimes eingeholtwird. Sophie scheut eine vermeintlich allzu große Nähe und allzufrühe Bindung («Ich bin einfach noch zu jung»), während Fritzzuweilen «schreckliche Minderwertigkeitskomplexe» ihr gegenüberplagen. Und beider Lebensentwürfe klaffen weit auseinander: Sie siehtihre Zukunft zwischen Kunst, Naturwissenschaften und Philosophie; ersteht vor einer militärischen Karriere in der Wehrmacht. MitKriegsbeginn 1939 spitzt sich ihr Grundsatz-Konflikt darüber, ob undwie man in diesen Zeiten Soldat sein kann, nochmals schroff zu.
Und doch finden beide wieder zueinander, je länger der Krieg unddie Zwänge des Regimes dauern. Ein halbes Jahr lang, als Hartnagelvon September 1941 bis April 1942 in Weimar auf einen neuenFronteinsatz wartet, erleben sie bei regelmäßigen Wochenend-Treffenihre glücklichste Zeit. Im Mai 1942 nehmen sie vor dem AufbruchHartnagels nach Russland in München Abschied. Es ist ihre letzteBegegnung.
Unter Sophies Einfluss und durch seine Kriegserlebnisse hatte sichHartnagel innerlich Schritt für Schritt von seinem Beruf entfernt. Erkann schließlich nur noch die Niederlage der eigenen Armee wünschenund muss als Hauptmann doch bis zuletzt Rekruten ausbilden. Ohne eszu wissen oder zu fragen, unterstützt er mit Geldzuwendungen anSophie indirekt die Aktivitäten der Weißen Rose. Später riskiert ermit seinen unverblümten Briefen von der Front ständig Kopf undKragen. Der frühere Konflikt mit Sophie wird ein - nicht minderzehrender - Gewissenskonflikt mit sich selbst. Er hält ihn aus biszum Kriegsende.
Hermann Vinke ist es gelungen, mit leiser Sorgfalt und großem Takteine Liebesgeschichte in dunkler Zeit und zugleich ein exemplarischesdeutsches Schicksal nachzuzeichnen. Ganz nebenbei erhält der Leserdamit zum 60. Jahrestag des Kriegsendes einen gerafften Ablauf desFrontgeschehens und beklemmende Einblicke in den Alltag des DrittenReiches. Bereits 1979 hatte der frühere ARD-Korrespondent und AutorVinke Kontakt zu Fritz Hartnagel aufgenommen, der nach dem Krieg alsRichter in Ulm wirkte und sich in der Friedensbewegung engagierte.Für die neue Biografie erhielt Vinke erstmals Zugang zu langeverschollen geglaubten Briefen und Dokumenten. Den größten Aufschlussgaben jedoch Gespräche vor allem auch mit Elisabeth Hartnagel, derletzten Überlebenden der fünf Geschwister Scholl. Sie, die ein Jahrältere Schwester von Sophie, war die spätere Ehefrau Fritz Hartnagelsgeworden.
Hermann Vinke: Fritz Hartnagel
Der Freund von Sophie Scholl
Arche Verlag, Zürich/Hamburg
272 S., Euro 19,90
ISBN 3-7160-2341-8