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Saalekreis Saalekreis: Markus Lüpertz gestaltet Fenster der Kirche in Gütz

Von margit boeckh 25.05.2012, 17:55

Halle (Saale)/MZ. - Wie sie da in "ihrer" Kirche sind. So ganz selbstverständlich. Erkennbar ein bisschen stolz. Fröhlich auch. Männer, die anzupacken wissen und dabei bleiben, auch wenn's mal schwierig wird. Wer ihnen zuhört, spürt bald: Bei aller Lebenszugewandtheit - den Sinn fürs Höhere, den haben sie sehr wohl auch. Das beweist ihre Geschichte.

Die mutet geradezu phantastisch an. Die Story einer kleinen Kirche in einem winzigen Dorf. Und ihrer wundersamen Rettung. Das Kirchlein: ehrwürdige acht Jahrhunderte alt. In der Zeit jüngerer Kirchenverachtung der Schändung anheimgefallen und schmerzlich zugerichtet. Wiederentdeckt und wiedererweckt von beherzten Bürgern. Die haben für "ihre" Kirche geplant, entworfen, kalkuliert, scharf gerechnet, um Gelder geworben und gebangt, vielleicht auch gebetet. Auf jeden Fall redlich geschuftet - mehr als anderthalb Jahrzehnte. Dienstag für Dienstag. Das ist für diese Männer sozusagen der Tag des Herrn. Oder auch der Kirche.

Wir sind in Gütz. Ein Winzdorf, Ortsteil von Landsberg, Anrainer dieser prosperierenden Gemeinde im Saalekreis mit steuerträchtigen Wirtschaftsansiedlungen (Rossmann, Danzas, EDEKA). Die Landsberger Doppelkapelle ist ein prominentes Highlight an der Straße der Romanik und weithin sichtbarer Blickpunkt. Das Gützer Kirchlein? Es droht dagegen zu verschwinden. Und doch: Womöglich wird dieses unscheinbare Gotteshaus erst richtig Glanz in diese Gegend bringen!

Mit Friedrich Brinkmann sind wir die Stufen hinaufgestiegen. Hoch in den Raum, den sie die "Gützer Stube" nennen. Bohlendecke, romanische Rundbogenfenster, meterdicke Mauern. Gerade fertig eingerichtet als Ort für Gespräche und Begegnungen. Hier sind wir den Glocken ganz nah, die treu und laut mit jedem stündlichen Schlag davon künden: Hier ist sie (wieder), die Kirche im Dorf! Da, wo sie hingehört. So jedenfalls hat es Johannes Seidl klipp und klar formuliert. Damals, als ein paar Gützer zusammensaßen in seinem Lokal. Seidl, ein Zugereister wie so viele hier. Aus Bayern, katholisch, kirchenverhaftet. Die von Barbaren der Vor- und Nachwendezeit zum Gotterbarmen zugerichtete Kirche in Blickweite seines Anwesens dauerte ihn. Und dann gab er wohl den entscheidenden Impuls: Da sollte, ja, da muss etwas passieren!

Eine Bierlaune? Keineswegs. Dazu sind die Gützer Kirchenmänner schon durch ihre Berufe viel zu sehr im praktischen Leben verhaftet. Tischler, Maurer, Fliesenleger, Elektrofachmann, Meister für Kraftwerksanlagen, Modellbauer, etliche Ingenieure - geballte Kompetenz. "Wir hatten erahnt, was da auf uns zukommt", meint Brinkmann, ein 1,85 m-Mann in Jeans, knapp überm Rentenalter und als Diplom-Ingenieur auch managementmäßig firm, "doch so richtig vorstellen, was das im Einzelnen bedeutet, konnten wir uns nicht."

Dabei waren die ganz praktischen Arbeiten - Entrümpeln, Mauern, Leitungen ziehen - vielleicht noch das Einfachste. Schon seit den 60er Jahren war die Kirche quasi abgeschrieben, ausgesegnet seit 1977. Weihnachten 1971 wurde die letzte Christvesper hier gefeiert. Und nun, 1996: eine Kirche mit eingefallenem Dach, ohne Fenster, vom Schwamm befallen. Ein Jammer! "Aber wir haben keinen Rückzieher gemacht. Jeden Dienstag Kirchenbau - Ehrensache", so Brinkmann und die Runde nickt.

Wo es nötig wurde, haben sie Fachleute dazu geholt. Über die dazu akribisch erarbeiteten Planungen kann man nur staunen, so wie über die ganze hochprofessionelle Erarbeitung und Begleitung des Projekts inklusive Internet-Auftritt. "Alles, was irgendwie ging, haben wir natürlich selbst gemacht. Wir müssen ja rechnen." Brinkmanns blaue Augen blitzen dann doch ein bisschen stolz.

Das Material kam aus Spenden und durch Förderung von der Stadt und dem Saalekreis, Stifter stets willkommen. Unternehmen, Vereine, Bürger stehen in der Stifterliste. Über 600 000 Euro konnten bis heute investiert werden. Zum 1997 gegründeten Förderverein Gützer Kirche e.V. kamen immer mehr neue Mitglieder hinzu.

Es war eine redliche Arbeit über all die Jahre. Manchmal einfach Schufterei. Warum das alles? "Eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung", sagt Lothar Schwarz schlicht. Der ehemalige Ingenieurpädagoge lächelt: "Als Zugezogene wollten wir uns auch in die Dorfgemeinschaft einbringen." "Klar, wir machen was Nützliches", bekräftigt Detlef Lautenschläger, Maschinenbau-Ingenieur im Ruhestand, "und wir haben Spaß dabei." Was Reinhard Kaps, Ingenieur im Vorruhestand, bestätigend benickt: "Ausarbeiten, unter Menschen sein, gemeinsam etwas schaffen und erleben." Ihre Frauen stützend immer dabei und nicht selten aktiv, wenn's um die Feinarbeiten in der Kirche geht.

Mit der Kircheninitiative kam auch so etwas wie ein neuer Gemeinschaftsgeist ins Dorf. Die Straßenfeste (Erlös fürs Projekt), Kabarettbesuche, Fahrradausflüge - irgendwie wuchs das Dorf enger zusammen. So soll's auch sein. Denn was den Gützern vorschwebt, ist die Kirche als kulturelles Begegnungszentrum. Kurz: eine Attraktion! Luftschlösser? Keineswegs! Denn da ist ja noch die Sache mit den Fenstern. Das unglaubliche Ding, bei dem die Gützer ihre Kirche mal nicht im Dorf ließen.

Diese Bleiglasarbeiten - von Experten handwerklich hoch eingeordnet - mit den Porträts von Luther und Melanchthon sowie den Darstellungen von Jesus und zweier Evangelisten schmückten einst das Gotteshaus. Vandalen hatten sie zerschlagen. Nur noch winzige Glasstücke waren übrig. Dass wenigstens diese Reste geborgen und bewahrt wurden, dafür sorgte seinerzeit beherzt Walter Borgass, heute über neunzigjährig und Ehrenvorsitzender im Förderverein.

Dass die Fenster wieder in die Kirche sollten, war den Männern klar. Nur, wie? Die Gützer Kirchenmänner sind an die Kunst so rangegangen wie an ihre Bauvorhaben - praktisch, sachlich, unerschrocken. Udo Elste (69, Bart, Lederjacke) hat sich den Hut aufgesetzt, die nötigen Fäden gezogen. Die führten schnell zum renommierten Glasstudio Derix in Taunusstein. Ein Traditionsunternehmen mit weltweiten Kontakten, auch zu Künstlern. Stand noch die (auch Kosten-)Frage, wie die Wiederherstellung der Fenster erfolgen sollte. Historisch? Zu museal! Zeitgenössisch? Künstlernamen fielen. Irgendwann auch Markus Lüpertz. Den hatten die meisten Gützer irgendwie schon mal gehört. Seine exzentrischen Auftritte. Die für Irrsinnssummen gehandelten Bilder und Plastiken. Ein ganz und gar extravaganter Künstler von Weltformat. Ziemlich weit weg von der sachsen-anhaltischen Provinz - oder? "Na, ja", grinst Elste spitzbübisch, " ich habe den einfach mal angerufen." Und: "Er hat gleich gesagt, ich mach' es."

Der vielgefragte Malerfürst ist dann auch nach Gütz gekommen. Hat sich alles angesehen, war beeindruckt. Dann ging es Schlag auf Schlag. Vielmehr: per Handschlag. Denn einen Vertrag gibt es nicht. Über Geld wurde erst mal auch nicht geredet. Letzten Dezember waren sie dann in Teltow, wo der Meister seit einiger Zeit sein Atelier unterhält. Als sie in der Früh ankamen, machte der gerade seine Morgengymnastik. Alles ganz unkompliziert. "Eine angenehme Begegnung", resümiert Elste. Lüpertz (konvertierter Katholik) packte gleich seine Ideen aus. Wie er die Fenster auf seine Weise ergänzen wird, zwei gänzlich neu gestalten. "Der Wegschauer" und "Der Wiederaufbauer" sollen die heißen.

Im Juli wird der große Markus Lüpertz wieder ins kleine Gütz kommen und seine Entwürfe vorstellen. Passend zum Lutherwegfest, das sie am 7. Juli feiern wollen. Bis 2017, zum Ende der Lutherdekade anlässlich des 500-jährigen Jubiläums der Reformation soll es geschafft sein.