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Russland Russland: Ikonen und sozialistischer Realismus

Von Friedemann Kohler 17.05.2006, 05:54
Die Tretjakow-Galerie in Moskau am 11.05.2006. Die Tretjakow-Galerie in Moskau beherbergt die weltweit größte Sammlung russischer Malerei von mittelalterlichen Ikonen bis zu Gegenwartskunst. (Foto: dpa)
Die Tretjakow-Galerie in Moskau am 11.05.2006. Die Tretjakow-Galerie in Moskau beherbergt die weltweit größte Sammlung russischer Malerei von mittelalterlichen Ikonen bis zu Gegenwartskunst. (Foto: dpa) dpa

Moskau/dpa. - Der mitTextilien und Immobilien reich gewordene Moskauer Geschäftsmann PawelTretjakow (1832-1898) sammelte von 1856 an Gemälde zeitgenössischerrussischer Maler, um in der Zarenstadt eine Nationalgalerie zugründen. In 150 Jahren wuchs die nach ihrem Gründer benannteTretjakow-Galerie auf 100 000 Werke von Ikonen bis zu Gegenwartskunstan. An diesem Donnerstag (18. Mai), dem Tag der Museen in Moskau,feiert die Galerie ihr 150-jähriges Bestehen. Kunsttempel wie dasMusée d'Orsay in Paris schicken im Jubiläumsjahr Leihgaben.

Wer heute durch die Säle des Museums im alten KaufmannsviertelSamoskworetschje (Jenseits der Moskwa) streift, kann nur staunen überden Weitblick, mit dem der Mäzen Pawel Tretjakow und sein BruderSergej ihre Kollektion anlegten. Sie erwarben die umfangreichsteSammlung mit Werken von Ilja Repin (1844-1930), der für die russischeMalerei ähnlich wichtig ist wie Leo Tolstoi für die Literatur. Siekauften Historienbilder von Wassili Surikow und Landschaften von IwanSchischkin oder Isaak Lewitan (1860-1900). Lewitan malte dasrussische Land, wie es ist - weit, grün, von herber Schönheit.

1892 vermachte Tretjakow der Stadt Moskau den Grundstock von 2000Werken und das Grundstück für die künftige Galerie. Der KünstlerViktor Wasnezow entwarf das bunte Museumsgebäude im neo-russischenStil. Nach der kommunistischen Oktoberrevolution wurde die Galerie1918 verstaatlicht. «Die Interessen der Arbeiterklasse verlangen,dass die Tretjakow-Galerie zu einem Museum von landesweitem Rangwird», verfügte der sowjetische Staatsgründer Lenin.

In den folgenden Jahren wuchs das Museum, weil die BolschewistenPrivatsammlungen, Kirchen und Klöster enteigneten. So kam dieTretjakow-Galerie zu ihrem größten Schatz, den schönsten undgeistlich wichtigsten Ikonen im mittelalterlichen Russland. In denSälen, in denen die goldgrundierten Heiligenbilder hängen, halten dieBesucher bis heute ein klösterliches Schweigen ein.

Still und unergründlich blickt der Christus-Kopf des Malers AndrejRubljow (ca. 1360-1430) den Betrachter an. Rubljows berühmte Ikoneder Dreifaltigkeit strahlt tiefe Ruhe und Harmonie aus. Das nachorthodoxem Glauben wundertätige Bild der «Gottesmutter von Wladimir»aus dem 12. Jahrhundert wird in einer Kirche neben der Tretjakow-Galerie gezeigt.

Das Museum ist längst über den alten Bau hinausgewachsen. DieMalerei des 20. Jahrhunderts wird im Moskauer «Haus des Künstlers»gezeigt, einem scheußlichen Sowjetklotz an der Moskwa. Der Gang durchdie Säle mit sowjetischer Kunst ist erschütternd, aber lehrreich.Kaum eine Kunstszene vor und nach dem Ersten Weltkrieg war solebendig wie die russische: Marc Chagall, Wassili Kandinsky, KasimirMalewitsch («Das schwarze Quadrat», 1912) experimentierten mit neuenFormen der künstlerischen Aussage.

Doch über die Jahre setzte sich das Diktat des SozialistischenRealismus durch. Selbst dieser Stil konnte Meister wie AlexanderDejneka (1899-1969) hervorbringen. Aber wie weit muss man sein Talentverbiegen, um Schinken wie «Stalin und Woroschilow auf derKremlmauer» (Alexander Gerassimow, 1938) zu malen?

Die Sammlung der Tretjakow-Galerie reicht bis in die Gegenwart,die Ankäufe gehen weiter. Viele provokante Arbeiten heutiger Künstlerkann das Museum nicht zeigen - aus Angst vor dem eher traditionellenrussischen Publikumsgeschmack oder vor Eingriffen staatlicherStellen. Doch in den Fonds liegen die Werke, die vielleicht in dennächsten 150 Jahren als Meisterstücke gelten.