Russland Russland: Bizarrer Streit um küssende Polizisten

Moskau/Berlin/dpa. - Fundamentalisten derRussisch-Orthodoxen Kirche und Rechtsextreme verwüsteten in Moskauschon Ausstellungen mit provozierenden Werken dieser modernenKünstler. Als «Schande für Russland» und «Pornografie» stempelt nunsogar Kulturminister Alexander Sokolow die Arbeiten ab. Sein Zorntrifft nicht zuletzt die weltberühmte staatliche Tretjakow-Galerie inMoskau, die auch solche Kunst präsentiert. Das Kunstmuseum wehrt sichnun erstmals öffentlich gegen eine von der Kunstszene beklagtezunehmende Einmischung des Staates in die Kunstfreiheit.
«Hier wird die Tretjakow-Galerie in den Dreck gezogen, das darfniemand, auch nicht der Minister. Ich fordere eine öffentlicheEntschuldigung», sagt Museumsdirektor Walentin Rodionow. Sein nebender Ermitage in St. Petersburg wichtigstes Kunstmuseum in Russlandschickte im Oktober die Sonderschau «Sots Art» über politische Kunstaus Russland nach Paris. Doch die Fotocollagen der Künstler WladislawMisin und Alexander Schaburow von den «Blue Noses» durften wiedernicht außer Landes - wie schon im Frühjahr für eine Ausstellung derStädtischen Galerie in Dresden.
Der Leiter der Abteilung für moderne Kunst der Tretjakow, AndrejJerofejew, warnt vor einer Zensur und Selbstzensur wie zuSowjetzeiten. «Das Verhalten des Ministers erinnert stark an diesowjetische Zensurpraxis, die ja eigentlich abgeschafft ist, jetztlaufen diese Prozesse eher unterschwellig ab», meint Jerofejew imGespräch mit der Deutschen Presse-Agentur dpa. Er beklagt einenwachsenden Einfluss von nationalistischen bis rechtsextremen sowiereligiös-fanatischen Ansichten auf die Kulturpolitik des Staates.
«Ich bekomme Drohbriefe und Klagen an den Hals, die mir wirklichAngst machen», sagt Jerofejew, der gegen den Protest der Kirche indiesem Jahr die Ausstellung «Verbotene Kunst» im MoskauerSacharow-Menschenrechtszentrum zeigte. «Es ist eine Blamage für unserLand, wenn Beamte festlegen wollen, was Kunst ist; die Künstler, umdie es geht, genießen bereits internationales Ansehen», schimpft dieExpertin Aidan Salachowa von der Russischen Akademie der Künste.
Doch der Kulturminister lehnt eine Entschuldigung ab. «Es geht umden Ruf unserer Nationalgalerie!», begründet Sokolow sein Engagement.«Natürlich maßt sich die Regierung keine Expertenmeinung an, wirddoch aber wohl noch eine Bewertung abgeben dürfen», sagt Sokolow. Beieiner privaten Initiative sei das etwas anderes. Russland zeige mitoffiziellen Ausstellungen wie derzeit im Pariser Maison Rouge derWelt sein Gesicht, da sei «politische Provokation» fehl am Platz.Während sich der Westen einmal mehr um zunehmend autokratischeTendenzen sorgt, ist der russische Minister überzeugt, ein gutes Werkgetan zu haben. Andernfalls hätten politische Verstimmungen mitFrankreich gedroht, «hätte ich die Ausfuhr nicht verhindert».
Viele der satirischen Fotocollagen zeigen nackte Menschen insexuellen Posen auf einer abgewetzten sowjetischen Wohnzimmercouch -mit aufgeklebten Gesichtern von Prominenten wie Prinzessin Diana,aber auch von Adolf Hitler, George W. Bush, Wladimir Putin oderSaddam Hussein. Die Aufnahme der küssenden Polizisten mit dem Titel«Die Epoche der Nachsicht» ist durch den Skandal in Moskau inzwischenzu einem der bekanntesten Kunstwerke geworden. Es gehe hier um denTraum, dass alle gnädig und zärtlich miteinander umgehen, erklärt derKünstler Schaburow.
«Für den Wert eines Künstlers sind Öffentlichkeit und Marketingheute wichtiger denn je - da hätte der russische Minister nichtsBesseres tun können», sagt der Berliner Galerist Volker Diehl, derdie «Blue Noses» betreut. Er führte die umstrittenen Kunstfotografienunlängst auf einer CD aus Russland aus, ließ sie ausdrucken und zeigtsie noch bis 15. Dezember in seiner Galerie. Den Titel für seineAusstellung lieh er sich vom Kulturminister: «Schande für Russland».
