Roman Roman: Im Fahrstuhl zum Mond
Halle/MZ. - Vor allem hat Orley das globale Energieproblem gelöst: Mit haushohen Käfern und Spinnen fördert er auf dem Erdtrabanten das Element Helium 3 und schickt das lunare Gold mit einem Weltraumlift zur Erde, um es in einem Fusionsreaktor zu verarbeiten. Helium 3 stürzt die Ölmultis in eine tiefe Depression.
Im Jahr 2025 spielt Frank Schätzings neuer Thriller "Limit". Fünf Jahre nach dem 3,8 Millionen Mal verkauften Bestseller "Der Schwarm" schickt der Kölner Autor seine Leser nicht nur auf den Mond, sondern auch auf einen 1 320 Seiten langen Lesemarathon. Dabei entwirft er atemberaubende Utopien, spinnt fiese Intrigen, meuchelt viele seiner Figuren in blutigem Gemetzel und entwickelt rasante Actionszenen. Auf seinem belletristischen Parforceritt rund um den Globus, über Mond-Meere und -Gebirge steuert er aber auch einige literarische Klippen und Umwege an.
David Bowie spielt auf
Nach einem langen erzählerischen Anlauf geht es hoch hinaus: Orley lädt eine finanzstarke Reisegruppe ein, das Mondhotel "Gaia" einzuweihen, das seine Tochter Lynn in Form einer gläsernen Frau entworfen hatte. Im Weltraumlift, über dessen Konstruktion bereits 1895 der russische Raketenpionier Konstantin Ziolkowski nachgedacht hatte (und auf den Schätzing verweist), startet die Truppe von einer Pazifikinsel aus zur Weltraumstation OSS. Und von dort weiter per Shuttle zum Mond, wo auch die Chinesen ein Helium-3-Claim abgesteckt haben und sich mit den USA heftig befehden.
Doch wem oder was wendet sich der einmal mehr akribisch recherchierende Autor jetzt eigentlich zu? Zum Beispiel dem Wettlauf der Großmächte, neuen Energiequellen und Technologien. In der filigran geknüpften Geschichte spielt auch Owen Jericho eine wichtige Rolle. Der britische Cyber-Detektiv wird in Shanghai von seinem Freund Tu, dem Gründer von Tu Technologie, beauftragt, eine Freundin zu suchen: Yoyo, die junge Internet-Dissidentin, stieß während einer Hacker-Attacke auf eine Verschwörung und wird deshalb gnadenlos gejagt. Lange Zeit bleibt unklar, wer wem warum an den Kragen will, was den Killer Kenny Xin antreibt und wer ein Interesse daran hat, auf dem Mond für Unruhe zu sorgen. Während sich die Situation im Mondhotel und auf einer Luna-Expedition zuspitzt, entkommen auf der Erde Jericho, Yoyo und Tu auf der Suche nach der Wahrheit immer wieder den Attacken Kennys und dessen Schergen und decken ein unheimliches Komplott auf. Unterdessen wird die Lesefreude in rhythmischen Intervallen beschleunigt und wieder abgebremst.
Wenn Schätzing seine Visionen in filmischer Klarheit entfaltet, wenn er eine Achterbahn auf der Spitze eines Shanghaier Hochhauses in Gang setzt, fühlt sich der Leser in eine aufregend andere Welt versetzt. Auch kleine Aperçus wie das Konzert des alten David Bowie auf der OSS machen Laune. Eine Schießerei im Berliner Pergamonmuseum brennt sich in das Imaginationsvermögen des Lesers ein.
Geschichte von Guinea
Solche Eindrücke verschwimmen ein wenig, wenn Schätzing erklärt und reflektiert; wenn er versucht, alle Fakten, die er zusammengetragen hat, unterzubringen. Ein Beispiel: Von Äquatorialguinea aus startet ein Satellit, der in dem Roman eine besondere Rolle spielt. Schätzing nimmt dies zum Anlass, die bittere Historie des afrikanischen Staates zu analysieren. Immer wieder verdichtet sich der Eindruck, der Autor habe ein Sachbuch, wie er es einst dem "Schwarm" folgen ließ, bei "Limit" gleich mit eingebaut. Dennoch ist "Limit" visionär, ausufernd, witzig, ernüchternd und nachdenklich. Geschrieben in einer eindringlichen, oft mitreißenden Sprache. Aber eben auch überflutend und irritierend.
Hintergründe zum Roman: www.frank-schaetzing.com