Roman Roman: Hans-Ulrich Treichels «Menschenflug» hebt selbst nicht ab
Frankfurt/Main/dpa. - Stephan möchte gern noch mal abheben zum «Menschenflug» wie einst Otto Lilienthal, an dessen Denkmal in Berlin er oft vorbeijoggt. Er bewilligt sich mit dem zeitweiligen Umzug in eine gemietete Dachkammer eine Familienauszeit, reist allein nach Ägypten.
Dort nimmt die Suche nach einem auf der Flucht seiner Eltern aus dem Osten als Baby verschollenem Bruder auf. Damit greift Treichel den autobiografischen Faden aus seiner Erzählung «Der Verlorene» wieder auf, die ihm begeistertes Kritikerlob für die Schilderung (west-)deutscher Nachkriegsgeschichte in den 50er Jahren eintrug.
Auch aus der Zeit fünf Jahrzehnte später hat der gebürtige Westfale und hauptberufliche Literaturprofessor in Leipzig feinsinnige Beobachtungen gesellschaftlicher Sorgen in Deutschland zu Papier gebracht. Wie etwa der Wunsch nach Wiedervereinigung mit dem verschollenen Bruder für Stephans Schwester durch Sorge um den schrumpfenden Anteil an der Erbschaft nachhältig gedämpft wird. Auch für die Halbherzigkeiten seines Helden mit halber, aber unkündbarer Stelle im Öffentlichen Dienst hat Treichel ein sehr gutes Auge und schildert sie, wie immer bei seinen Romanhelden, mit fein nuancierter Sympathie für die nicht ganz so Cleveren.
Aber alles in allem bleibt «Menschenflug» doch genauso fade wie seine Hauptfigur. Seltsam unverbunden aneinander gereiht, entwickeln die verschiedenen Teile dieses Buches keine innere Dynamik. Die langweilig ausfallende und ebenso zäh geschilderte Reise des Akademischen Rats nach Ägypten bringt ein erotisches Abenteuer. Immerhin. Aber auch das bleibt letztlich ohne Folgen, und so zieht es den nach sich selbst und dem Bruder suchenden Stephan plötzlich Richtung Celle und Uelzen. Dort findet er, nach eingehendem Studium des Hundertwasser-Bahnhofs, auch den lange gesuchten Bruder, was aber, der Leser ahnt es schon, ebenfalls keine Konsequenzen hat.
Am Ende passiert dann aber doch noch etwas. Der am Herzen schwächelnde Stephan bricht beim Joggen zusammen und hebt danach als Patient in einem Rettungshubschrauber ab: «Er flog, er war sich ganz sicher. Er flog den Menschenflug.» Netter Gag am Ende, aber vielleicht zu wenig für einen Autor von Treichels Rang.
Hans-Ulrich Treichel
Menschenflug
Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main
234 S., Euro 17,80
ISBN 3-518-41712-6