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Rolf Kuhrt Rolf Kuhrt: Kassandras Rufe, Hiobs Leid

Von Kai Agthe 04.11.2017, 11:00
Kuhrts Kosmos: Die Böcklin-Hommage „Erinnerung an A. B.“ zwischen dem Bild „Selbst“ (l.) und der Skulptur „Kassandra“
Kuhrts Kosmos: Die Böcklin-Hommage „Erinnerung an A. B.“ zwischen dem Bild „Selbst“ (l.) und der Skulptur „Kassandra“ Forum Gestaltung/Norbert Eisold

Magdeburg - Auf diesem Eiland dürfte auch Gevatter Tod erfrieren: „Erinnerung an A. B.“ heißt das repräsentativ im Forum Gestaltung angebrachte, in kräftigen Blautönen gehaltene Gemälde von Rolf Kuhrt, das eine Hommage auf Arnold Böcklins „Die Toteninsel“ ist. Im Gegensatz zum Original, das vermuten lässt, die Insel müsse in südlichen Gefilden zu finden sein, hat auf Kuhrts Bild die Eiszeit die Insel fest im Griff: Ein weißer Panzer hat sie fast vollständig bedeckt.

„Erinnerung an A. B.“, 2009 entstanden, ist Teil einer raumgreifenden Ausstellung, die das Forum Gestaltung dem in Mecklenburg lebenden und mit 81 Jahren noch immer tatkräftigen Künstler widmet. Bekannt wurde Kuhrt als Teil jener Schar von Absolventen der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig, die in der Kunstgeschichte unter „Leipziger Schule“ firmiert - auch wenn er sich nach eigenem Bekunden nur bedingt zugehörig fühlt. Von 1956 bis 1962 studierte Kuhrt an der Hochschule, etwa bei Wolfgang Mattheuer. Ab Ende der 60er Jahre lehrte er daselbst erst als Dozent, seit 1980 als Professor Grafik und Illustration.

Die künstlerischen Wurzeln des 1936 in Bergzow bei Genthin geborenen Kuhrt liegen jedoch in Magdeburg, wo er von 1954 bis 1956 die Fachschule für Angewandte Kunst besuchte. Die hatte bis zum von der SED verfügten Ende 1963 ihren Sitz in der einstigen Kunstgewerbe- und Handwerkerschule in der Brandenburger Straße, die heute das Domizil des Forums Gestaltung ist. Nach mehr als 60 Jahren zu seinen Anfängen zurückkehrend, zeugt die von Norbert Eisold und Norbert Pohlmann mit viel Übersicht konzipierte Schau von der erstaunlichen Vielseitigkeit Kuhrts, der Maler, Zeichner, Grafiker und Bildhauer ist. Mit ihm würdigen die beiden Kuratoren „eine wichtige Künstlerpersönlichkeit“.

Hiob ist allgegenwärtig in Kuhrts Schaffen

Der zunächst sperrig wirkende Titel „Hiob Ich Kassandra Ich Candide“ erklärt sich beim Gang durch die Schau von allein, bündeln sich in der Überschrift doch Themen, die den Künstler seit Jahrzehnten begleiten. Die Selbstporträts etwa, von denen das doppelte „Ich“ im Titel kündet, sind in Magdeburg nicht groß an Zahl, stammen aber aus mehr als drei Jahrzehnten. Kuhrts realistischer Zugang der 70er Jahre und 80er Jahre ist im Alter einem stark expressiven Stil gewichen, der sich in den beiden erst 2016 entstandenen Gemälden „Selbst (brennend)“ und „Selbst (im Prozess des Zeichnens)“ bekundet.

Hiob, dessen Fähigkeit, Leid zu ertragen, von Gott über die Maßen geprüft wird, ist allgegenwärtig in Kuhrts Schaffen, wobei der Künstler auf seinen meist in schnellen Strichen gezeichneten Blättern bestrebt ist, Hiobs seelischen Schmerz adäquat in einen körperlichen zu übersetzen.

Auch Kassandra erscheint in immer neuen Variationen. Die Seherin, die von Gott Apoll gestraft wurde, in dem sie, gleich was sie prophezeite, kein Gehör bei den Menschen fand, ist in Kuhrts Werk omnipräsent. Das Nachdenken über sie mündet hier in einer Darstellung, in der Kassandras Rufe nicht mehr allein überhört werden, sondern in der man sie zum Schweigen bringt: Kuhrts Blatt „Kassandras Erschießung“ geht so weit wie keine Deutung der Figur zuvor.

Keine finanzielle Unterstützung von der Kunststiftung Sachsen-Anhalt

Nicht Kassandra allein, zahllose weitere Figuren der griechischen Mythologie hat Kuhrt in seinem Kosmos aufgenommen: den Minotaurus, in wildbewegten Strichen gezeichnet und als archaischer Stierkopf in Bronze gegossen, ebenso wie Prometheus oder Orpheus und Eurydike.

Das Buch „Candide oder Der Optimismus“ des Franzosen Voltaire hat Kuhrt nicht nur zu einer Reihe von Zeichnungen veranlasst, sondern auch zu zehn detailreichen Holzschnitten.

Alles in allem eine bemerkenswerte Werkschau, so dass unverständlich bleiben muss, weshalb die Kunststiftung Sachsen-Anhalt sich nicht in der Lage sah, die Umsetzung derselben finanziell zu unterstützen. „Wir haben sie trotzdem realisiert“, sagt Pohlmann mit hörbarer Genugtuung.

Bis zum 10. Dezember im Forum Gestaltung Magdeburg, Brandenburger Straße 10, Mi-So 14-18 Uhr.

Das Begleitheft kostet 12,80 Euro. (mz)

Der gehörnte Mythos: Kuhrts „Minotaurus“ als Plastik und Zeichnung (r.)
Der gehörnte Mythos: Kuhrts „Minotaurus“ als Plastik und Zeichnung (r.)
Forum Gestaltung/Norbert Eisold