Roger Waters Roger Waters: Alte Ängste, ein Lächeln dazu
Erfurt/MZ. - "In The Flesh" heißt der Abend, auf den RogerWaters die Welt viele Jahre lang warten ließ.Nach seiner "Radio K.A.O.S."-Show im LondonerWembley Stadion 1987 und dem einzigartigen"Wall"-Spektakel auf dem Potsdamer Platz 1990schien der frühere Pink-Floyd-Frontmann dieBühnen endgültig den ehemaligen Mitstreiternum Lieblingsfeind David Gilmour überlassenzu wollen. Wie hätte er nach seiner Selbstdiagnosedenn auch weiter mitspielen sollen? "Amusedto Death" hieß vor zehn Jahren das letzteAlbum, das mit den Worten des PhilosophenNeil Postman die sinntötende Reizflut derMediengesellschaft beschwor.
Dass er diesen kommerziellen Suizid überlebte, kam Waters bereits beim US-Comeback vor drei Jahren zugute. Niemand durfte von ihm mehr militante Mega-Shows mit aufblasbaren Monstern und apokalyptischen Trickfilm-Videos erwarten.Auch zum Deutschland-Start der Tour in der Erfurter Messehalle schrumpft das einst obligatorische Stadion nun auf Studio-Format. Nur gelegentlich marschieren Niet-Hämmer und Panzer-Echsen über die Leinwand, als größte Skulptur wird vor der Bühne ein rosa Schweinchen hochgehalten."Ein Abend mit Roger Waters" steht auf der Karte, sogar Pink-Floyd-T-Shirts sind erlaubt. Ein Brandstifter als Biedermann, der Generalbass des Rock'n'Roll in Zivil?
Ganz so einfach ist die Sache nicht. Noch immer finden sich alten Ängste auf demselben alten Grund, das "Wish you werehere" bleibt weiter unerfüllbar. Auch wenn Waters seinen Frieden gefunden haben mag, singt er weiter vom Krieg. Und dass der brillante Sound meist bittere Wahrheiten birgt, wird angesichts der schon im Auftakt-Song angekündigten"Surrogate Band" an seiner Seite besonders deutlich. Denn manchmal leuchten in deren Rücken die Bilder aus früheren Tagen.
Aus jener Zeit stammen auch die Hits, die in Erfurt den größten Jubel finden: Songs wie "Welcome to the Machine" und "Shine on you crazy Diamond", "Time" oder "Money" sindlängst Pop-Ikonen mit Pawlow-Reflex, während beispielsweise "The Pros and Cons of Hitch Hiking Part 11" nicht nur unter dem leicht verstolperten Einsatz leidet. Im zweiten Teil seines fast dreistündigen Sets versagt sichWaters die leichten Siege fast vollständig und setzt erst zum Finale wieder ein "Comfortably Numb". Davor gibt es Bilder von Primaten vor Fernseh-Schirmen und verstörende Nachrichten vom "Brain Damage" - den Soundtrack zur mörderischen Unterhaltung, serviert als selbst erfüllendeProphezeiung.
Natürlich weiß Roger Waters genau, dass er die Medien-Falle nicht beschreiben kann, ohne sich in ihr zu fangen. Und so wirkt es nur aufrichtig, wenn er zwischen den Titeln keinewohlfeilen Erklärungen abgibt, sondern auch in Erfurt die "verletzenden Lehrer" als "Stein in der Mauer" ausmacht: Das Pubertäts-Drama des Jungen Pink braucht keine politisch korrekten Aktualisierungen - ebenso wenig wie die historisch überholten Afghanistan-Nachrichten aus demRequiem "The Final Cut", das mit Namen wie Thatcher und Breschnew noch einmal die Zeiten des Kalten Krieges beschwört.
Wichtiger als solche Posen wirkt allemal das entspannte Lächeln, mit dem Waters inzwischen allzu martialische Zeilen begleitet. Und als der inzwischen 57-Jährige in der Zugabe eine "Flickering Flame" entzündet, sendet diesereinzig neue Titel ein ebenso klares Signal wie zuvor das amerikanische Tour-Äquivalent "Each small Candle". Welch eine beruhigende Einsicht: Stille Wasser sind noch immer tief.