Richy Müller Richy Müller: «Ich bin immer den geraden Weg gegangen, auch wenn er steinig war»
HALLE/MZ. - Das war 1979 - und bedeutete den Karrierestart für den Schauspieler Richy Müller, der 1955 in Mannheim als Hans-Jürgen Müller geboren worden ist. Und beide Rollen erzählen etwas von diesem Mann, über den man sonst eher weniger weiß.
"Ich bin keiner, der sich grundlos nach vorn drängt", sagt Müller, dem das Image des düsteren Helden anhaftet und der als extrem scheu gilt. Dabei gibt er freundlich und offen Auskunft: Nur muss es eben einen Anlass geben, mit seiner Arbeit zu tun haben. Zurückhaltung kann ja auch eine Tugend sein. Wenn man ihn dann "erwischt", ist es ein Genuss, mit ihm zu reden: Soviel Ruhe, Nachdenklichkeit und Kraft strahlt er aus, fern allen Dünkels.
Am Sonntag wird er in Sangerhausen Texte von Einar Schleef lesen, unter dessen Regie er in Frankfurt am Main auf der Bühne gearbeitet hat. Eine harte Zeit, sagt Richy Müller und lacht. Über den "Egomanen" Schleef wird noch zu reden sein. An den hat Richy Müller, gelernter Werkzeugmacher, bestimmt nicht gedacht, als er mit 21 Jahren sein ganzes bisheriges Leben "über Bord geworfen" hatte und etwas vollkommen Neues begann. Obwohl es nicht sein Kindertraum gewesen war, Schauspieler zu werden. "Überhaupt nicht. Ich wusste vorher nicht einmal, dass es Schauspielschulen gibt."
Als die Möglichkeit ihn zu interessieren begann, prüfte er gründlich, ein Dreivierteljahr lang, bewarb sich, wurde angenommen, begann zu studieren. In Bochum war das, eine aufregende Geschichte, noch einmal Schüler zu sein, nachdem er doch schon einen Beruf erlernt und auch ausgeübt hatte. Nach zwei Jahren warfen sie ihn an der Schauspielschule raus, er sei wohl "nicht tragbar" gewesen. Und drei Monate später spielte er in "Die große Flatter": Richy, den Jungen aus der Vorstadt, der sich nicht grundlos anpassen, nicht verbiegen lassen will. Zwischen dieser Rolle und dem Fernseh-Kommissar, der ein anständiger Mensch, kein Superbulle sein will, liegen zahlreiche Filme und die aufregenden Jahre am Theater. Annähernd drei Jahrzehnte insgesamt, in denen er sich, so sagt er, eigentlich nicht verändert hat - bis auf die gewonnene Lebenserfahrung natürlich. Lebensfroh und verspielt nennt Richy Müller als Eigenschaften, die er sich bewahrt hat, ein ausgeprägter Sinn für Gerechtigkeit kommt hinzu. Weil er auf dem beharrte und "den Mund nicht halten konnte", hat er einige Male Ärger bekommen, während seiner Zeit an der Freien Volksbühne in Westberlin zum Beispiel, wo er mit Hans Neuenfels arbeitete, ein "Paradiesvogel" wie Schleef und Robert Wilson.
Diese drei Regisseure haben ihn am Theater und als Menschen geprägt - und er hat selbst eine Menge zuzahlen müssen für den Gewinn. "Ich bin immer den geraden Weg gegangen", sagt Richy Müller, "auch wenn er steinig und unwegsam war". Nach dem Riesenerfolg mit "Die große Flatter", auf den er erkennbar stolz ist, folgten ein paar Filme, die "irgendwie schlechter" waren, ein Bauchgefühl sei das gewesen. Das rührte von seinem Qualitätsanspruch her - ein lebenslanges Erbe seiner Arbeit als Werkzeugmacher, "wo es um Präzision im Tausendstelbereich geht".
Also sagte er Angebote ab, bis irgendwann keine mehr kamen. Richy Müller, das war der Schwierige, der nur Ärger macht. Deshalb hätte er die Bühnenrolle in Plenzdorf "Die neuen Leiden des jungen W." auch um ein Haar nicht bekommen, würde er nicht zufällig selbst in den Kammerspielen vorgesprochen haben. Der Herr Müller habe keine Zeit und könne im Übrigen nicht Theater spielen, hatte die Künstlervertretung die Intendantin, die ihn engagieren wollte, zuvor beschieden.
Und das, sagt Richy Müller, "zu einer Zeit, in der ich kein Geld hatte und mich mehr oder weniger durch Berlin schnorrte." Es folgten die guten, schweren Jahre bei Neuenfels, Wilson und Schleef. "Da ging es letzten Endes immer um die Macher, die Schauspieler auf der Bühne waren oft nur Staffage". Er hat sich trotzdem nicht gedrückt, ist nicht weggegangen: "Wenn ich das nicht schaffe, schaffe ich den ganzen Beruf nicht. Da bin ich wie der Kohl, der immer alles ausgesessen hat". Irgendwann habe er dann begriffen, "wie wichtig es ist, sich privat, als Mensch zu finden".
Sein Glauben gehört dazu - wenn er sich auch nicht als religiös bezeichnen will. "Was ist Religion? Da ist immer eine Tendenz", sagt Richy Müller. Also: Menschen mit Drohungen oder Heilsversprechen unter Druck zu setzen, um ihr Verhalten zu beeinflussen. Das passt nicht in sein Bild von Gott. Mit dem Theater war Schluss, als 1999, zum Ende des Interims am Berliner Ensemble nach Heiner Müllers Tod, die Produktion von "Anatomie Titus Fall of Rome" scheiterte. Der neue Chef, Claus Peymann, wollte sie nicht übernehmen. Richy Müller zog sich zurück, drehte wieder Filme, darunter 2005 "Am Tag, als Bobby Ewing starb", eine köstliche Komödie über die Alternativ-Bewegten der 80er Jahre. Mit dem "Tatort", zwei Produktionen im Jahr, hat er die Freiheit gewonnen, sich die Arbeit aussuchen zu können. Zeit für die Familie zu haben. Und wieder Theater zu spielen.
Ende des Jahres wird er in Karlsruhe als Cyrano auf der Bühne stehen, ein bisschen aufgeregt ist er schon. Natürlich traut er sich das zu, aber zehn Jahre Abwesenheit vom Theater sind eben eine lange Zeit. Auch vor den TV-Krimis war er etwas nervös: Immerhin hatte er sich niemals für mehr als einen Film verpflichtet.
Aber so, wie sie ihm die Figur seines Kommissars gebaut haben, gefällt sie ihm recht gut: Ein Mensch, der Eigenschaften wie Gerechtigkeitssinn besitzt, die für sein, Müllers, Leben entscheidend sind.
Und die großen Regisseure, Schleef zum Beispiel? Er hat sie beobachtet und versucht, zu verstehen. "Da habe ich auch menschlich viel gelernt", sagt Richy Müller, durchaus nicht sarkastisch: "Da muss man nachdenken, aber man muss sich das ja nicht anziehen".
Über Schleefs Methode sagt er: "Das war wie ein Krieg, wie der gearbeitet hat. Bis zum Knochenmark durch". Und dann zitiert er eine Passage des Schleef-Textes, aus dem er am Sonntag in Sangerhausen lesen wird. Der Regisseur und Autor, krank und hilflos, reflektiert darin seine Lage und misst sie an seinem Umgang mit den Schauspielern: "Eine schwierige Situation, die Fresse zu halten aus Einsicht". Richy Müller bereut die Zeit mit Schleef nicht. "Und es hat mich zutiefst getroffen, als ich hörte, wie einsam er von uns ging. Aber es passte so zu ihm."