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Rezension Rezension: Abschied als Romanautor

Von Herbert Winkler 06.10.2003, 10:12
Walter Kempowski (Foto: dpa)
Walter Kempowski (Foto: dpa) dpa/dpaweb

München /dpa. - Seinen «letzten Roman» hat Walter Kempowski vorgelegt, «Letzte Grüße» heißt er, aber das letzte Buch des 75- Jährigen soll es nicht sein. Bloß als Geschichtenerzähler und Romanschriftsteller wolle er sich verabschieden, sagte Kempowski kürzlich, der letzte Teil des «Echolots» über die letzten Kriegstage 1945 sei in Arbeit. Viel ist also vom «letzten» Mal die Rede, und so gibt der Lehrer und liebevolle Chronist der großen wie nicht so großen Zeiten Deutschlands kaum zufällig ein gerüttelt Maß Altersmelancholie, Enttäuschung und Skepsis zum Besten. Aber auch die Ironie findet sich, die seine Bücher auszeichnet, und die sich diesmal nicht selten in bitterbösen Sarkasmus steigert.

Der Schriftsteller Alexander Sowtschick, den Kempowski aus Anlass «deutscher Wochen» durch Amerika touren lässt, bietet viel Autobiografisches. Auf sechs Amerika-Vortragsreisen hat der Autor wohl selbst das geringe Interesse an deutscher Gegenwartsliteratur unter US-Studenten kennen gelernt und obendrein genügend Honoratioren, die von ihrer eigenen Bedeutung und Geschäftigkeit überwältigt sind. Wer jemals selbst an einem Empfang in der deutschen Botschaft in Washington teilgenommen hat - «den Lärm mit einem Kescher auffangen und auswringen, was da für eine Sauce rauskommt?, dachte Alexander» - zieht amüsiert den Hut.

Und was bei diesen «German Weeks», jenen Prachtstücken deutscher Kulturarbeit im Ausland, so alles rhetorisch als Völkerbindendes in die Wirklichkeit gestellt wird, schildert Kempowski mit spitzer Feder. Unter den amerikanischen Freunden trifft Sowtschick immer wieder solche, die ihn auf den Holocaust verweisen und die Bundesrepublik als faschistischen Staat bezeichnen. Er selbst sucht vergebens nach einem Bomberpiloten, den er gern nach den Gefühlen bei der Bombardierung deutscher Städte gefragt hätte.

Dass ihm die USA fremd sind und bleiben, dass ihm die sozialen Zustände nicht behagen, spricht Sowtschick deutlich aus. In Houston fährt ihn eine Dame durch verwahrloste Vorstädte. «Vor jeder Hütte lungerten Schwarze herum.» «Das ist ja wie in Indien», sagt er ihr. Daraufhin fährt sie ihn durch die Viertel der Reichen, «um ihm zu zeigen, wie gut es den Menschen geht, wenn sie nur fleißig sind und man ihnen ihre Freiheit lässt. (...) "Auch wie in Indien", dachte Sowtschick.»

Der Amerikatrip ist vor allem aber auch eine Reise durch Sowtschicks Leben, dem alten Mann entfleuchen die Gedanken oft in die Vergangenheit und zurück über den großen Teich direkt hinein in zurückgelassene Probleme. Eine Menge deutsch-deutschen Stoffes referiert er. Da Sowtschick gerade während der Maueröffnung tourt, wird ihm das Ende der deutschen Teilung auf den US-Bildschirmen nur schemenhaft bewusst. Er karikiert literarische Zeitgenossen, aus Ost und West, die beliebter als er sind und mehr Preise bekommen haben. Einige reisen ebenfalls durch die USA und kriegen immer bessere Zimmer als er. Wann wird er selbst endlich so anerkannt, wie er es verdient? Wer seine Vorbilder waren, will Kempowski nicht verraten; in einem Zeitungs-Interview nennt er unverbindlich die Namen Durs Grünbein und Ulla Hahn.

Sowtschick ereilt nach vier Wochen Amerika der Tod. In New York trifft ihn der Schlag, der sich unterwegs schon angekündigt hat. Kempowski weiß, wovon er schreibt, er hat selber zwei Schlaganfälle erlitten. Aber er hat sie überstanden. Während Sowtschick nicht nach Sassenholz, seinem norddeutschen Wohnort, zurückkehrt, kann Kempowski in Kreienhoop auch nach seinen «letzten Grüßen» weitermachen. «Echolot. Der Trugschluss» wird voraussichtlich im Herbst 2004 erscheinen, und auf seiner Website äußert Kempowski die Bitte an die verehrte Leserschaft, ihm Tagebücher und Briefe aus dem 19. Jahrhundert zu schicken.

Walter Kempowski: Letzte Grüße. Roman Albrecht Knaus Verlag, München 430 Seiten, 22,90 Euro ISBN 3-8135-0195-7