Reportage Reportage: Wie Popstars von morgen fit gemacht werden

Hamburg/dpa. - Normalerweise wird in dem Saal für Tschaikowskis «Schwanensee» geprobt, doch an diesem Tag geht es in dem Hamburger Ballettstudio weniger elegant zu. Statt Ballerinen sind in den verspiegelten Wänden sieben Medienvertreter zu sehen. Eher ungelenk bewegen sich die vier Frauen und drei Männer auf dem weichen Kunststoffboden. Bei dem Workshop des Privat-Senders ProSieben sollen Journalisten in die Rolle eines Bewerbers für die Musik-Show «Popstars» schlüpfen, hart trainieren und am Ende des Tages eine eigene CD aufnehmen. Nicht, dass ich hitverdächtig wäre - weder beim Tanzen noch beim Singen. Aber wer weiß - vielleicht steckt in mir doch noch eine Pop-Ikone.
Die Teilnehmer haben sich in zwei Reihen im Raum verteilt. Vor der Front baut sich der Berliner Tänzer und Starchoreograf Detlef D! Soost mit seinen Muskelpaketen auf, gibt eine Einführung in die Grundstellung beim Tanzen. Beine auseinander, alle Muskeln anspannen! - von Ober- und Unterarmen bis zu den Beinen! Spätestens, als D! meine gerade Körperhaltung lobt, kommt ein Fünkchen Hoffnung auf.
Doch wird beim anschließenden eineinhalb-stündigen Aufwärm- und Trainingsprogramm jäh zunichte gemacht. Für uns Schreiberlinge hat D! ein extra leichtes Programm zusammengestellt. Zweieinhalb statt zehn bis fünfzehn Minuten wie mit den Teilnehmern des Popstars-Workshops in Orlando müssen wir die zur Seite gestreckten Arme kreisen lassen. 30 statt 150 Liegestütze und 100 statt 300 Sit-Up-Übungen, bei denen wir auf dem Rücken liegen und dem Oberkörper anheben müssen. Die Kandidaten in Orlando mussten vier Wochen lang ein solches Training über sich ergehen lassen.
Nach etwas mehr als einer Minute fallen mir schon bei der ersten Übung fast die Arme ab. Die Liegestütze schaffe ich nur mit Schummeln - und weil D! mich bei den letzten zehn Malen am Hosengürtel hochzieht. Jedes Bier der vergangenen Wochen rächt sich, jedes überflüssige Gramm meines leichten Bauchansatzes wird zum Problem.
Zu einer echten Blamage wird das anschließende Tanztraining. Bei den einfachen Schritte kann ich noch gut mithalten. Aber spätestens, wenn Arme und Beine zu unterschiedlichen Schritten im Rhythmus der Musik bewegt werden müssen, endet mein Tanz im Chaos. Fast alle männlichen Kollegen haben ähnliche Probleme, lediglich bei den Frauen im Tanzsaal sieht das Ganze koordiniert aus.
Und auch das noch: Ein Fernsehteam läuft zwischen den Kursteilnehmern herum und übermittelt jeden Fehler an das Publikum eines Boulevard-Magazins. Unangenehm, aber durchaus realitätsnah. Schließlich werden die Workshop-Teilnehmer in Orlando auch auf Schritt und Tritt für die Popstars-Sendungen verfolgt.
Vier Sendungen sollen in wöchentlichem Rhythmus die Ausscheidung der zukünftigen Popstars dokumentieren. Von Sendung zu Sendung wird die aus D!, der Rapperin Sabrina Setlur und dem Nena-Produzenten Uwe Fahrenkrog-Petersen bestehende Jury die besten Tänzer und Sänger auswählen. Aus den 14 Frauen und 13 Männern wird zum Schluss eine Boy- und eine Girl-Group mit jeweils etwa vier Mitgliedern übrig bleiben. Die 16 bis 27 Jahre alten Teilnehmer hoffen auf die große Pop-Karriere, wollen wie ihre Vorbilder No Angels und Bro'Sis aus den ersten beiden Popstars-Staffeln im Rampenlicht stehen.
Nach eineinhalb Stunden Tanztraining steht für mich fest: Das wird nichts mit der Pop-Karriere. Wenn ich davon leben müsste, würde ich vermutlich schon bald am Hungertuch nagen. Habe ich vielleicht beim Singen bessere Karten?
Nach einer kurzen Pause geht es vom Ballettstudio per Shuttle- Service quer durch die Stadt in ein Tonstudio im Osten Hamburgs. Bei «German Music Production» haben auch schon Dieter Bohlen, Howard Carpendale und «Superstar»-Gewinner Alexander Klaws produziert. Die Wände sind mit unzähligen Goldenen Platten bepflastert. Auf einer orangefarbenen Couch wartet bereits Gesangslehrerin Artemiz Gounaki mit dem Song «Aisha» von Outlandish.
Jeder Teilnehmer muss zwei Zeilen singen, alle zusammen den Refrain. Schon beim vierten Wort hakt Artemiz ein: «Beautiful» soll die Kollegin vom Jugendmagazin «Bravo» lieber als «beaudiful» mit «weichem d» singen. «Wenn ihr hier etwas mit nach Hause nehmen wollt, auf das ihr stolz sein könnt, dann müsst ihr Feeling zeigen», sagt die 36-jährige Münchnerin, die auch schon Gruppen wie Guano Apes oder Bro'Sis betreut hat.
Kurz darauf bekomme ich mein Fett weg. «To have her shining, right here by my side», trällere ich und bin mit meinem Part ganz zufrieden. Doch schon der Gesichtsausdruck der Gesangslehrerin macht klar: Das war nichts. «Du musst die Zähne auseinander nehmen», sagt Artemiz. Nach einem erneuten Versuch muss ich mir sogar anhören, dass ich angeblich ein wenig lispeln soll. Das hat bisher noch niemand behauptet. Immerhin verrät sie mir, dass das mit ein wenig mehr Spannung in den Wangen zu beseitigen sei. So schlimm kann es also nicht sein.
Die Aussprache soll ich beim Singen ein bisschen auf Texas-Slang umstellen, statt «my» lieber «ma» und bei «shining» das «g» weglassen. Außerdem bräuchten wir für die Aufnahme mehr Gefühl in der Stimme, meint Artemiz. Mehr Sex-Appeal, mehr Verführung sollen wir einbringen. Mit Profis arbeitet die Münchnerin mit griechischen Wurzeln einen ganzen Tag an der Perfektionierung ihrer Songs, bevor es ins Tonstudio geht. Bei uns wäre vermutlich mindestens eine Woche nötig.
Dennoch wird es schließlich ernst: An einem riesigen Steuerpult mit hunderten Reglern und Knöpfen sitzen Artemiz und Studiochef William King vor einem mehr als einen halben Meter großen Bildschirm. Der Holzfußboden, die schwarzen Ledersessel in der Ecke und das gedämpfte Licht verbreiten einen Hauch von Luxus inmitten der ganzen High-Tech-Geräte. Hinter einer Glasscheibe steht bereits die erste Kollegin vor dem Mikro. Wie in einer Endlosschleife muss sie immer wieder den gleichen Text vorsingen.
Anschließend werden die besten Versionen der einzelnen Textpassagen und Wörter herausgeschnitten und wie ein Puzzle wieder zusammengesetzt. Das eine «smile for me now» ist Artemiz zu lieblos gesungen, beim nächsten Versuch sind die Töne nicht genau getroffen. Doch das lässt sich dank moderner Technik richten. «Das ist viel Kleinarbeit», sagt King. Der Redakteur eines Hamburger Magazins meint angesichts der technischen Möglichkeiten: «Da verliert man glatt den Respekt vor den Künstlern.»
Nach etwa einer Stunde Vorsingen und der Bearbeitung an hunderten kleinen Rädchen und Reglern sind die ersten beiden Zeilen und der Refrain der ersten Kandidatin endlich fertig. Aus der ursprünglich unsicheren und recht wackeligen Stimme ist ein durchaus hörbares Produkt geworden. King ist dennoch nicht ganz zufrieden. «Die Stimme war so schwach, das musste ich so stark hochziehen, dass man schon die Nebengeräusche hört», erklärt er. Auch die modernen Hilfsmittel haben ihre Grenzen.
Der zweite Sänger betritt das Tonstudio ganz gelassen. «Ich habe volles Vertrauen in euch. Wenn ihr es geschafft habt, eine Aufnahme mit Daniel Küblböck hinzukriegen...», sagt er zu den beiden am Mischpult in Anspielung auf den ausgeflippten aber nur mit geringem gesanglichen Talent gesegneten Kandidaten der «RTL-Superstar»- Sendung. Das ist in der Tat ein beruhigender Hintergrund. Bereits nach 20 Minuten ist der Kollege mit seinem Part fertig.
Bei meiner Vorstellung versuche ich im Aufnahmeraum alles zu geben. Laut singen, Töne genau treffen, saubere Aussprache - nach dem Tanzen möchte ich mir eine zweite Blamage ersparen. Auf dem Kopfhörer läuft zur Unterstützung eine von Artemiz gesungene Version des Aisha- Songs. Nach vier Durchläufen stoppt die Musik. Eigentlich dachte ich, das würde sich ganz gut anhören, aber nach Ansicht unserer Gesangslehrerin ist es noch zu abgehackt. «Stell Dir vor, Du würdest das Lied Deinem Kind vorsingen», rät sie. Okay, vielleicht könnte ich ein wenig mehr Weichspüler hinzugeben. Nach ein paar weiteren Versuchen ist alles im Kasten - ohne große Schnippelei.
Vom Endprodukt sind die meisten Kollegen positiv überrascht. «Ihr habt euch alle ganz toll engagiert», sagt Gounaki aufmunternd. Dennoch rät sie mir und den anderen Kollegen von einem Wechsel in das Musikgeschäft ab. «Wenn ihr mich fragen würdet, ob ihr eine Chance habt, dann würde ich sagen: Vergesst es», sagt sie. Klare Worte.