Religion Religion: Spuren des Göttlichen
DRESDEN/MZ. - Mit seiner Collage "Sowjetischer Gekreuzigter" hatte Wagritsch Bachtschanjan doppelt Pech: Als er Mitte der 80er Jahre einen Lenin-Orden auf das Bild eines Kruzifixes montierte, war den Machthabern diese Botschaft der quasi-religösen Verehrung eines einstigen Revolutionsführers zu eindeutig. Und als er das Bild nach dem ideologischen Klimawandel präsentieren wollte, wurde es abermals verboten - diesmal wegen der Verletzung der wieder erwachten religiösen Gefühle in Russland.
Nun hängt die blasphemische Ikone im Hygiene-Museum Dresden, das dem "Kraftwerk Religion" eine spektakuläre Sonderausstellung gewidmet hat. Auf engstem Raum wird hier jener Druck simuliert, der durch das Nebeneinander der Glaubensbekenntnisse in der modernen Welt entstanden ist - und der entscheidend zu den Konflikten der Gegenwart beiträgt. Dabei beginnt der Parcours eher harmlos - mit jenen religiösen Artefakten, die den Sprung in die Alltagskultur geschafft haben. Da ist die japanische Winkekatze Maneki Neko, die man aus dem Asia-Shop um die Ecke kennt und die ihrem Besitzer Geld und Kunden herbeilocken soll. Da ist die Menora, der siebenarmige Leuchter der Juden, der heute in manchem Trödelladen neben dem Bronze-Buddha steht. Und da ist die Kultmaske aus Ghana, die als exotischer Tupfer auch deutsche Wohnzimmer schmückt.
Dass diese sakralen Objekte damit ihrer Funktion beraubt und auf das Dekor reduziert werden, lernt man im Weitergehen freilich schnell. Denn spätestens beim Thema Glaubensspaltung und Säkularisierung erkennt man, dass diese Trivialisierung des Erhabenen historische Tradition und Methode hat. Schon jene Justitia-Gestalt, die man im reformierten Basel 1534 aus einer Madonna geformt hatte, weil der Marienkult den Protestanten verdächtig geworden war, ist ein beredtes Beispiel für solche Umwidmungen. Und von dort führt der Weg bis zu jenen "Proletarischen Haussegen" und "Arbeiterikonen", die atheistischen Familien am Beginn des 20. Jahrhunderts den Altar im Herrgottswinkel ersetzen sollten.
Bis zur letzten Konsequenz
Unmittelbar neben solchen auf- und abgeklärten Positionen, die in der französischen Menschenrechtsdeklaration von 1792 ihren Anfang nahmen, finden sich die Zeugnisse eines tiefen, bis zur Konsequenz des eigenen Todes gelebten Glaubens. So steht man erschüttert vor dem Abschiedsbrief von Heinrich Kurlbaum, der als Zeuge Jehovas 1944 ohne Waffe an der Weltkriegs-Front erschienen war - und dafür erschossen wurde.
Und man findet private Gegenstände aus dem Nachlass des Berliner Dompropstes Bernhard Lichtenberg, der nach seinem Protest gegen die Vernichtung der Juden durch die Nationalsozialisten im Konzentrationslager starb. Dass unmittelbar daneben das Stuttgarter Schuldbekenntnis der evangelischen Kirche von 1945 zu lesen ist, lässt das Martyrium dieses Einzelnen um so beeindruckender erscheinen - denn die Mehrheit der Christen hatte ihren Glauben zur gleichen Zeit verraten.
Es ist die Fülle an scharfen Kontrasten und überraschenden Konfrontationen, die diese Schau so sehenswert macht - selbst wenn man sie in all ihrer Opulenz kaum bewältigt. Da finden sich rührende Zeugnisse einer selbstverständlichen Frömmigkeit, die sich mit berühmten - und nicht immer der ungebrochenen Tradition verpflichteten - Namen verbinden. Thomas Manns Taufkleid und Friedrich Nietzsches Taufschale liegen in Nachbarschaft zu dem Bann gegen den Philosophen Baruch Spinoza und zu Ernst Thälmanns Kirchen-Austrittserklärung. Die Konditionierung der Kinder in den verschiedenen Religionen wird anhand von jüdischen Matroschkas und einem Ramadankalender mit Schokoladen-Füllung gezeigt - und anhand der Fulla-Puppe, die in Saudi-Arabien die verpönte Barbie ersetzt. Wer freilich eher an Evolution als an Schöpfung glaubt, kann seinen Nachwuchs mit einer Charles-Darwin-Figur spielen lassen ...
Flankiert werden die voll gepackten Abteilungen über Initiationsriten und Sterberituale, über Pilgerfahrten und religiöse Alltagsvorschriften durch Interview-Stationen, an denen man individuelle Zeugnisse des Glaubens und Zweifelns abrufen kann. Und immer wenn man glaubt, endlich einen blinden Fleck der Kuratoren gefunden zu haben, trifft man prompt auf den Gegenbeweis - etwa dort, wo Margot Käßmanns lila Halstuch an das ostdeutsche Pendant der 80er Jahre denken lässt. Wo, bitte, ist das berühmte Symbol der Friedensbewegung? Man sucht nach dem Aufnäher "Schwerter zu Pflugscharen" und stolpert beinahe über den Amboss, auf dem der Schmied Stefan Nau 1983 in Wittenberg eine solche Waffe in ein friedliches Gerät umgeformt hat.
Nachdem man auch die Bekenner-Videos von palästinensischen Selbstmord-Attentätern und die mit Psalmworten gespickten Lageberichte des früheren US-Verteidigungsministers Donald Rumsfeld passiert hat, steht man schließlich in der Abteilung für "letzte Fragen". Und hier gibt es neben Kuriositäten wie der "Iglesia Maradoniana", die den Ex-Fußballer Diego Maradona anbetet, auch die Versuche einer naturwissenschaftlichen Erklärung für das Göttliche. Doch diesem rationalen Zugriff auf das Unfassbare tritt man nach dem Rundgang eher skeptischer gegenüber - weil Glauben angesichts des vermehrten Wissens eine Entscheidung ist. Und weil man nur die Wirkungen, nicht aber die Ursachen der Religionen ausstellen kann.
"Und wenn es ihn doch gibt ...?"
Das zeigt auch die Aktion der Gruppe Buskampagne.de, die im vergangenen Jahr mit der großen Losung "Es gibt (mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit) keinen Gott" durch deutsche Städte reiste. Nachdem die Werbetour für Aufsehen gesorgt hatte, folgte dem Fahrzeug bald ein zweiter Bus, auf den die Gruppe gotterkennen.de ihre Entgegnung plakatiert hatte: "Und wenn es ihn doch gibt ...?".
Ausstellung bis zum 5. Juni 2011, Di-So 10-18 Uhr, Katalog 24,90 Euro