Rekord Rekord: Leipziger Familie spielt seit 100 Jahren im Gewandhaus

Leipzig/dpa. - Wenn sich der 65-Jährige an diesem Samstag(28. Januar ) beim Sonderkonzert zum 250. Geburtstag Wolfgang Amadeus Mozarts aus dem Dienst verabschiedet, endet auch eine Dynastie. «Dasszwei Generationen im Orchester aufeinander folgen, kommt schon malvor. Aber das ist wirklich außergewöhnlich», sagt OrchestervorstandHeiner Stolle.
Alles begann mit Arthur Nikisch, Gewandhauskapellmeister von 1895bis 1922. Er hatte am 8. März 1904 Stephans Großvater Günther Weigeltin einem Schreiben an die Leipziger Stadtoberen einen «schönen rundenTon und hoch entwickelte Technik» bescheinigt. Knapp zwei Jahrespäter stieß der Nikisch zufolge «hervorragende Bläser» als Solo-Fagottist zu dem 1743 von Kaufleuten gegründeten Ensemble undbegründete eine bis heute währende Ära. 47 Jahre lang blieb Weigeltdem Gewandhaus als Aktiver treu.
Günther Stephan selbst kam nach Jahren des Klavierspiels erst mit13 Jahren zum Cello. Unterricht nahm er bei seinem Onkel, der von1928 bis 1974 Solo-Cellist am Gewandhaus war. «Was mich am Cellofasziniert ist die Stimmlage zwischen Bass und Melodieninstrument, esfüllt mehrere Funktionen im Orchester aus und ähnelt der menschlichenStimme sehr», schwärmt Stephan. Schon zwei Monate nach seinem Abitur1959 bestand er das Probespiel und begann in der darauf folgendenSpielzeit seine Laufbahn bei der Musikalischen Komödie der OperLeipzig.
Die Oper gehört bis heute ebenso wie die Thomaskirche zu denSpielstätten der 185 Profimusiker. Und wie seine Vorfahren spielteStephan auch häufiger auf dem Grünen Hügel in Bayreuth. Im Alter von20 Jahren erspielte sich der begeisterte Motorradfahrer und Inline-Skater eine Solo-Cellisten-Stelle im Kleinen Haus der Oper undzugleich einen Tuttistenplatz im Gewandhausorchester.
Dabei hätte beinahe seine Karriere geendet, bevor sie richtigbegann: Der damalige Generalintendant der städtischen Bühnen, KarlKaiser, klagte gegen den jungen Mann. Wegen eines nicht vorhandenenStaatsexamens verweigert er Stephans Engagement. Doch der Musikerklagte und gewann, da laut Gesetz ein gewonnenes Probespiel zurAnnahme verpflichtet. Das Studium an der Hochschule für Musik undTheater Leipzig absolvierte Stephan dann parallel zu seinenEngagements von 1961 bis 1964.
Nach 44 Jahren im Gewandhausorchester blickt er nun nicht nur auffast 600 Auslandskonzerte mit Gewandhauskapellmeister Kurt Masurzurück. «Das Publikum hat gejohlt. Der Geist, den Masur verströmte,war der Geist des Gewandhauses», sagt er. Stephan ist der Einzige,der mit fünf Gewandhauskapellmeistern arbeitete: Franz Konwitschny(1949-1962), Václav Neumann (1964-1968), Kurt Masur (1970-1996),Herbert Blomstedt (1998-2005) und Riccardo Chailly (seit 2005). «Dasist absoluter Rekord. Er hat meinen vollen Respekt», sagt Stolle.
Neben dem Orchesterspiel widmete sich Stephan der Kammermusik. Mitdem Mendelssohn-Quartett errang er internationale Preise, spielte einVierteljahrhundert im Schumann-Quartett, zehn Jahre im Tschaikowski-Trio und ist seit 1987 Mitglied des Leipziger Bachorchesters. Auchnach seinem Ausscheiden will er den Frack nicht einmotten, plantstattdessen eine Japan-Tournee mit dem Bachorchester im Sommer.»Abtrainieren» nennt er das in Anlehnung an die Phase vonHochleistungssportlern nach dem Ende der Profizeit. «Ich denke, dassich mein Cello noch eine Weile bedienen werde.»
Und auch wenn die Gewandhaus-Ära der Stephans endet, wird dieMusikertradition der Familie fortgeschrieben. Einer von Stephans vierKindern ist Cellist im Sinfonieorchester des MitteldeutschenRundfunks (MDR). Und vielleicht hängt eines Tages der hinter Glasgerahmte Brief von Arthur Nikisch in dessen Wohnzimmer.