Reformation Reformation: Bilder einer Ausstellung von Friedrich dem Weisen
WITTENBERG/MZ. - Insgesamt 5 005 Partikel waren es, die Lucas Cranach der Ältere im Jahr 1509 im Katalog des "Wittenberger Heiltums" verzeichnen konnte - Reliquien, die der Kurfürst Friedrich III., genannt der Weise, aus Lust am Sammeln und in der Hoffnung auf Seligkeit zusammengetragen hatte. Exakt 500 Jahre nach dem Erscheinen des Buches, das mit 119 Holzschnitten illustriert war, erinnern die Stiftung Cranach-Höfe und das Wittenberger Predigerseminar an diese Kehrseite der Reformation.
Denn derselbe Kurfürst, der Martin Luther vor seinen katholischen Widersachern schützte und ihn in ärgster Bedrängnis auf der Wartburg bei Eisenach versteckte, war in seiner Frömmigkeit stark dem Reliquienkult - und dem damit verbundenen Ablass - zugeneigt. Im Jahr 1520 - also drei Jahre nach der Veröffentlichung jener Thesen, die den Missbrauch des Ablasshandels kritisierten - hatte er bereits so viele Hinterlassenschaften von Heiligen und Zeugnisse für biblische Geschichten zusammengetragen, dass sich die dadurch erwirkte Sündenvergebung auf die astronomische Zeit von 1 902 202 Jahren und 270 Tagen belief. Hinzu kamen noch einmal 1 915 989 Carenen - Erlass für Strafen, die ansonsten 40 Tage verschärfte Bußdisziplin forderten. Wer zur "Zeigung" der Reliquien in der Woche nach Misericordia - der dritten Woche nach Ostern - nach Wittenberg reiste, konnte also Bonus für sein Seelenheil erwerben.
Cranachs Verzeichnis unter dem Titel "Dye zaigung des hochlobwirdigen hailigthums der Stifft kirchen aller hailigen zu wittenberg" zeigt aber nicht die unscheinbaren Objekte, zu denen so obskure Stücke wie die "Milch Mariä" gehörten - und die sich Friedrich u. a. mit Hilfe eines päpstlichen Schreibens verschafft hatte, das 1507 alle Bischöfe und Prälaten zur Teilung ihrer Reliquien mit Wittenberg aufforderte. Der Hofmaler überlieferte vielmehr die kostbaren Gefäße, in denen der Kurfürst seine Schätze hortete - so genannte Reliquiare, deren Inhalt nicht selten die Form der Skulpturen diktierte.
Ihre Darstellung ist nun auch eine große Verlustanzeige. Denn der kunsthistorisch bedeutsame Schatz wurde 1522 - bereits ohne Heiltums-Anspruch - letztmals in Wittenberg ausgestellt. Nach dem Tod von Friedrich dem Weisen erbte Johann der Beständige ein überschuldetes Land - und ließ auch die Reliquiensammlung schnöde "verwerten", indem er die Edelsteine und Perlen aus den Reliquiaren brach, das Edelmetall einschmolz und die heiligen Exponate in aller Stille "beisetzen" ließ. Lediglich der Becher der Heiligen Elisabeth wurde - ausgerechnet - nach "Beseitigung der Abgötterei" dem Reformator Martin Luther geschenkt.
Der handschriftliche Vermerk über diese Schenkung ist eine der Kuriositäten in der kleinen Schau, die nicht zuletzt über die Umwidmung von Cranachs Druckstöcken erzählt. So finden sich ursprüngliche Heiltums-Bilder später auch in protestantischen Erbauungsbüchern und in Luthers Sermon über das Sakrament des Leichnams Christi. Parallel dazu gibt es freilich auch die Anti-Ablass-Literatur wie das Augsburger Traktat "On Applas von Rom kan man wol selig werden" - und fragwürdige Beispiele von Autogrammen als "modernen Reliquien". Spannender ist da schon die Fortschreibung des wahren Kultus in der katholischen Kirche - etwa mit der Geschichte vom Heiligen Rock, der ein Stück vom Kleide Christi enthalten und 2012 das nächste Mal in Trier gezeigt werden soll.
Ausstellung bis zum 14. Juni, Dienstag bis Samstag 10-17, Sonntag 13-17 Uhr; ab 13. April auch Montag 10-17 Uhr