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Radiohead erschüttert Musikbranche mit Internet-Album

Von Andrej Sokolow 11.10.2007, 12:32

Hamburg/London/dpa. - Der Versuch zeigte, dass zumindest bekannte Bands heutzutage ohne Musikkonzerne auskommen können. Die Idee, die Fans selbst über den Preis entscheiden zu lassen und die zehn Songs ohne jeden Kopierschutz anzubieten, bescherte Radiohead kostenlose Werbung durch unzählige Medienberichte weltweit und könnte Nachahmer finden. So kündigte die US-Band Nine Inch Nails diese Woche an, künftig auch ohne Plattenfirma zu arbeiten.

Das Radiohead-Experiment könnte einen entscheidenden Meilenstein markieren. Schließlich passiert das alles, während die Verkäufe von CDs rapide sinken und auch im Internet immer mehr Songs ohne Kopierschutz verkauft werden. Die Industrie kämpft seit Jahren gegen «Musikpiraten» und erreichte kürzlich, dass eine alleinerziehende Mutter in den USA für das Platzieren von 24 Songs im Internet zu einer Geldstrafe von 220 000 Dollar (155 000 Euro) verurteilt wurde. Gleichzeitig räumt die Branche ein, dass auf einen bezahlten Download schätzungsweise 20 unerlaubte kommen.

Sollte das Radiohead-Modell, bei dem man «In Rainbows» auch für 0,00 Dollar/Euro/Pfund komplett herunterladen konnte, Schule machen: Wie lange könnten die Konzerne dann die Album-Preise von 9,99 bis 19,99 Euro noch durchsetzen? Sollten noch mehr große Bands, die Millionen Alben verkaufen und damit die Kassen der Platten-Multis füllen, auf eigene Faust weitermachen und das ganze Geld selbst einstecken - wer würde dann den Aufbau jünger, noch unbekannter Künstler finanzieren? Und schließlich, bei allem Schaden, den die Musik durch das kommerzielle Denken der Konzerne genommen hat, waren die Alben, die ohne Druck von Plattenfirmen produziert wurden, immer besser?

Zahlen darüber, wie viele Fans sich das Radiohead-Album seit der Freischaltung am Mittwoch heruntergeladen haben und wie hoch der von ihnen gezahlte Durchschnittpreis war, gibt es noch nicht. Das Management teilte mit, dass bei weitem nicht alle von der Null-Euro- Option Gebrauch gemacht hätten. Auch habe es viele Bestellungen für das 40 Pfund teure Set aus Doppel-CD und Vinyl-Platten gegeben, dass erst Anfang Dezember ausgeliefert werden soll. Laut Äußerungen im Internet waren viele Fans spendabel, weil sie ihr Geld direkt der Band geben konnten. Das Album selbst, dass sehr unaufgeregt und minimalistisch, aber auch melodischer als der Vorgänger «Hail To The Thief» von 2003 klingt, wurde von ihnen dagegen mit gemischten Reaktionen aufgenommen.

Bei allem Pioniergeist ist Radiohead in Gesprächen über eine CD- Veröffentlichung auf herkömmliche Weise im nächsten Jahr. Schließlich wird der Großteil der Musik nach wie vor auf CDs verkauft. Auf dem US-Markt, der beim Internet-Vertrieb wohl am weitesten ist, sah die Lage im vergangenen Jahr so aus: Der CD-Absatz fiel zwar um 12,8 Prozent, lag aber immer noch bei 615 Millionen Stück. Die Internet- Downloads von Singles stiegen um 60 Prozent auf 586 Millionen und mit 28 Millionen Alben wurden doppelt so viele heruntergeladen wie 2005, wie der Branchenverband RIAA mitteilte.

Klar bei diesem Größenverhältnis zu Gunsten der CD ist aber auch, dass die Digitalisierung der Musik und die Erfindung des MP3-Formats mit seinen handlichen Dateien Schleusen geöffnet haben, die sich nie wieder schließen werden. In großen Teilen der Branche scheint sich die Einsicht durchzusetzen, dass man das Piraterie-Problem nicht mehr in den Griff bekommt und nach neuen Geschäftsmodellen suchen muss. Davon zeugt, dass die Songs über neue Online-Läden in den USA zum Beispiel bei Amazon.com oder auf der Wal-Mart-Website ohne Kopierschutz angeboten werden.

Letztlich ist die Bedeutung des Verkaufs von Musik als Einnahmequelle in Frage gestellt: Zum Beispiel lässt sich mit Klingeltönen viel leichter Geld verdienen. Und die Rolling Stones machten mit ihrer knapp zweijährigen «A Bigger Bang»-Tour Rekordeinnahmen von mehr als 558 Millionen Dollar. Da wundert es nicht, dass Superstar Prince seine neue CD «Planet Earth» im Juli zunächst einmal einfach der umgerechnet zwei Euro teuren «Mail on Sunday» beilegen ließ.

Und auch der Manager der britischen Band Charlatans, die in den 1990er Jahren schon bessere Zeiten erlebt hatte, erwägt, größere Hallen für die Tour im kommenden Jahr zu buchen: Nachdem das neue Album kostenlos zum Download angeboten wurde, stieg die Nachfrage nach Tickets sprunghaft an.