Preußen und Anhalt Preußen und Anhalt: Franz schickte Friedrich Mulde-Lachs
Berlin/Dessau/MZ. - Vor 300 Jahren wurde Friedrich II. in Berlin geboren; von Februar an feiert das Land Anhalt sein 800-jähriges Bestehen. Zwei Gedenktermine, die ihre Schnittmenge in der Herrschaft des Dessauer Fürsten Leopold III. Friedrich Franz (1740-1817) finden, des Schöpfers des Dessau-Wörlitzer Gartenreiches, das heute zum Weltkulturerbe zählt. Was aber eigentlich hielt Fritz von Franz - und umgekehrt? Darüber sprach mit dem Berliner Historiker Michael Niedermeier unser Redakteur Christian Eger.
Herr Niedermeier, war Anhalt-Dessau im 18. Jahrhundert ein Satellitenstaat Preußens?
Michael Niedermeier: Das kann man so sagen. Schon Johann Georg II. von Anhalt-Dessau, der Urgroßvater von Fürst Franz, hatte nach den Erschütterungen des 30-jährigen Krieges das Schicksal des kleinen Ländchens enger an den aufsteigenden Staat im Norden binden müssen. Er versuchte, dem Großen Kurfürsten noch auf Augenhöhe zu begegnen. Das gelang seinen Nachfolgern mit den Preußen nicht mehr in gleichem Maße. So wurde Anhalt-Dessau praktisch so etwas wie ein Satellitenstaat, der seine Souveränität aber im Äußerlichen zu behaupten suchte.
Die Dessauer Fürsten, unter anderen "Der Alte Dessauer", dienten als hochrangige preußische Offiziere. Was hatten die davon?
Niedermeier: Sie konnten für die Preußen oder für den Kaiser in Wien wertvoll sein. Und sie fanden Schutz und Sicherheit an der Seite eines Staates, der im 18. Jahrhundert immer mächtiger wurde.
Stand Anhalt-Dessau je in der Gefahr, als Staatsgebilde von Preußen geschluckt zu werden?
Niedermeier: In diesen Zeiten war kein Land sicher, ein kleines schon gar nicht. Die mächtigeren Fürstenstaaten versuchten, sich in der Regel auf Kosten der schwächeren zu vergrößern und zu bereichern. Denken Sie nur an den Pfälzischen oder den Bayrischen Erbfolgekrieg. Ob es eine reale Gefahr für Anhalt-Dessau gab, ganz geschluckt zu werden, weiß ich nicht. Gefahr drohte aber nicht nur von Preußen. Man darf nicht vergessen, dass die kleinen Fürsten Mitteldeutschlands sich auch von den Habsburgern bedroht fühlten.
Leopold III. Friedrich Franz, der Schöpfer des Dessau-Wörlitzer Gartenreiches, scherte als 17-Jähriger aus der selbstverständlichen militärischen Dienstbarkeit aus. 1757 bat er Friedrich II. um Entlassung aus dem preußischen Militär. War das eine politische, sozusagen anti-fritzische Demonstration?
Niedermeier: Es gibt diese Auffassung bis heute, sie wurde im 19., aber auch im 20. Jahrhundert geäußert und ist weiterhin sehr populär. Mich überzeugen die dabei vorgebrachten Argumente nicht. Franz war als Erbprinz ganz darauf eingestellt, ebenfalls preußischer Offizier zu werden. Er hatte jedoch im Sommer des Jahres 1757 einen schweren Reitunfall erlitten, in dessen Folge er offenbar zeitlebens nicht mehr schmerzfrei laufen konnte. Der Preußenkönig hat den Prinzen nach Konsultation seines Hofarztes selbst entlassen.
Franz litt aber doch auch an der Eintönigkeit des preußischen Militärdienstes. Er schrieb 1756 aus Dresden, dass er im Umfeld Friedrichs "nicht weiß, was ich anfangen soll".
Niedermeier: Franz hat sich gelangweilt, weil er nicht ins Feld durfte. Er wurde als junger Erbprinz geschont.
Friedrich ließ 1757 dem Fürsten erklären: "Ihre Neutralität wird Ihnen bekommen wie denen Hunden das Gras fressen." Was meinte das?
Niedermeier: In Regensburg hatte der Reichtagsgesandte der vier anhaltischen Fürsten sein Votum gegen Preußen abgegeben. Die Fürsten beeilten sich dann aber gleich darauf, sich bei Friedrich dafür zu entschuldigen. Der Preußenkönig hat das dann mit eben diesen Worten quittiert. Er meinte damit nicht Franz konkret, sondern die anhaltischen Fürsten allgemein, die sich vorsichtshalber nach hinten absichern wollten, weil sie das Kriegsglück des Preußenkönigs sinken sahen. Fürst Franz sah sich zu dieser Doppelstrategie übrigens Jahre später dann selbst wieder gezwungen, diesmal war er auf der Seite Napoleons.
Welche reale Macht hatte Friedrich über die anhaltischen Verhältnisse?
Niedermeier: Friedrich presste während des Siebenjährigen Krieges alle Länder aus, wo er konnte. Er machte da auch kaum Unterschiede zwischen Freund und Feind, gerade, wenn ihm das Wasser bis zum Halse stand. Friedrich betrieb zudem genau in seinem Sinne Heiratspolitik. Und er verheiratete wenige Jahre nach Ende des Krieges seine Nichte Louise aus der Nebenlinie Brandenburg-Schwedt mit dem jungen Fürsten Franz. Nicht ohne ihr vorher den Entsagungseid auf die preußischen Staaten abgenommen zu haben. So hatte er gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Die konkurrierende Nebenlinie wurde zusammen mit dem angrenzenden Satelliten-Staat Anhalt-Dessau wieder fest an Preußen verbunden.
Wie stand das unmittelbare Umfeld des Dessauers zu Friedrich II.? War es preußisch, aber "anti-fritzisch" gesonnen?
Niedermeier: Ja, genau, das ist eine gute Formulierung. Franz und sein Umfeld waren preußisch gesinnt, nicht aber "fritzisch", wie Goethe in Frankfurt. Fürst Franz nannte sich auf seiner zweiten Englandreise 1775, Jahre nach dem Krieg, selbst einen "poor Prussian", einen armen Preußen, dabei anspielend auf die Tatsache, dass die britische Regierungspartei Preußen kurz vor Kriegsende angeblich im Stich gelassen hätte. Speziell Georg Heinrich von Berenhorst - als ein natürlicher Sohn des Alten Dessauers Adjutant des Preußenkönig - hatte diesen in seiner harten und schneidenden Art kennengelernt. Seine "Betrachtungen über die Kriegskunst" sind eine kritische Betrachtung des Königs im Krieg.
Der Dessauer Hof lernte übrigens auf seinen Reisen ein anderes tragisches Opfer des Preußenkönigs kennen: Man erlebte in Hechingen, dem anderen Hohenzollern-Hof, den aus Magdeburg stammenden, später so berühmten Oberst von Steuben, der dann die Truppen der jungen Vereinigten Staaten im preußischen Militärwesen schulte. Steuben spielte in einer Liebhaberaufführung den zu Unrecht bei Friedrich II. in Ungnade gefallenen Major Tellheim in Lessings "Minna von Barnhelm". Die Dessauer fanden ihn gerade in dieser Rolle sehr überzeugend.
Wie lässt sich das Verhältnis von Franz zu Friedrich beschreiben?
Niedermeier: Ich denke, Franz hatte Angst vor dem Preußenkönig. Immer wieder versuchte er, das Verhältnis durch Freundschaftsgeschenke, beispielsweise durch Sendungen von frischem Elbe- und Muldelachs oder von Pflanzen aus den Gewächshäusern aufzuhellen. Der Königs bedankte sich mit knappesten Billetts, die kaum mehr enthalten als einen kurzen Dank, dass der Fisch gemundet habe. Für den König war der Fürst sicher kein ernstzunehmendes Gegenüber und Fürst Franz war stets auf der Hut. Er traute sich übrigens auch erst von seiner brandenburgischen Gattin zu separieren, als der König 1786 gestorben war. Eine Scheidung kam auch dann noch nicht in Frage. Man versuchte die Preußen nicht zu düpieren.
Gibt es etwas, das Franz von Friedrich gelernt hat? Der Preuße gilt als einer der ersten Medien-Könige, der nach außen hin viel Reklame für sich und seinen Staat gemacht hat.
Niedermeier: Das hatte Franz sicher von Friedrich II. lernen können. Die Generation eines Ludwigs XIV. von Frankreich wollte die anderen europäischen Fürsten vor allem mit Selbstrepräsentationen beeindrucken. Friedrich beherrschte es aber, die Aufklärer von sich zu begeistern. Er wusste, dass sein Nachruhm nur dann von Dauer sein würde, wenn er die klügsten Köpfe um sich scharen und auf sie wirken konnte. Fürst Franz hatte nicht die Finanzmittel wie der König, aber es gelang ihm, mit Hilfe des modernen Mediums der landschaftlichen Gartenkunst, die Reisenden, die meist auf der alten Reichsstraße nach Berlin und Potsdam unterwegs waren, zu einem Zwischenstopp in seinem Gartenparadies zu animieren. Sie verbreiteten dann seinen Ruf als eines aufgeklärten Landesvaters.
Franz versuchte, Dessau als einen Musterstaat der Aufklärung zu etablieren. Worin unterschied sich das Aufklärungsprojekt des Dessauers von dem Friedrichs?
Niedermeier: Franz gehörte einer anderen Generation an und er war eben ein kleiner Fürst. Er nutzte die Mittel der Baukunst, er unterstütze die Pädagogik, er versuchte, die Landwirtschaft zu verbessern und in die Landesverschönerung einzubeziehen. Man sollte aber auch seine Erfolge dabei nicht überschätzen, viel war dabei auf äußere Wirkung berechnet, ähnlich wie beim Preußenkönig.
Könnte man im Blick auf Franz von einer tätigen, alltagspraktischen Aufklärung sprechen, während bei Friedrich doch vieles rhetorischer Natur blieb? Lessing schrieb 1769, dass sich die "Berlinische Freiheit" darin erschöpfe, "gegen die Religion so viele Sottisen zu Markte zu bringen, als man will".
Niedermeier: Das kann man einerseits sagen. Andererseits galt eben auch für Franz: Wenn der überregionale mediale Erfolg eines Projektes ausblieb, verlor er schnell das Interesse daran.
Franz gilt als Anreger des 1782 gegründeten geheimen "Fürstenbundes", der die mittleren Staaten zu einem Verbund gegen die Großmächte Preußen und Österreich zu bewegen suchte. Wie gefährlich war das Unternehmen im Blick auf Preußen?
Niedermeier: Die Hauptstoßrichtung des geheimen Bundes der kleinen Fürsten galt nicht Preußen, sondern war gegen die Ländertauschpläne der Habsburger gerichtet. Diese wollten mit dem Kurfürsten Karl Theodor die österreichischen Niederlande gegen Bayern eintauschen. Das hätte zur Folge gehabt, dass die Habsburger unmittelbar an der Grenze zu Mitteldeutschland gestanden hätten. Unweigerlich wären die kleinen Fürstentümer zwischen die Großmächte geraten. Die Initiatoren des geheimen Fürstenbundes hatten allerdings ebenso panische Furcht vor Friedrich II. Der hat die kleinen Fürsten, die sich in diesem Zusammenhang als "die Guten" und "die guten Fürsten" präsentieren und stilisieren wollten, aber gar nicht für voll genommen, und sich 1785 kurz entschlossen selbst zum Kopf des Fürstenbundes und zum Retter der Reichsinteressen erklärt.
Wofür sollte Friedrich II. heute gefeiert werden?
Niedermeier: Jedes Zeitalter hat sich seinen eigenen Friedrich konstruiert und diesen dann gefeiert. Wir sollten ihn in seiner Zeit verstehen lernen, und die jeweilige Funktion, die er in der deutschen Erinnerungskultur gespielt hat. Das ist schon einiges.
Und wofür sollte Anhalt diesem König danken?
Niedermeier: Anhalt hat sich in der kritischen Erinnerung an diesen König gerieben und seine eigene Erinnerungstradition begründet. Das Gartenreich wurde dabei zum Friedensreich stilisiert, und das hat wiederum eine Dauerhaftigkeit, die möglicherweise länger währt als das Gedenken an einen Kriegsfürsten, wie der Preußenkönig einer war.